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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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glücklichen Remis hatte er stets verloren. Schon damals war der Richter eine Spielklasse - mindestens - stärker gewesen als er, mit der Zeit findet man sich mit solchen Einsichten ab.
    Der Richter beugte sich vor und zog. Der weiße Läufer schlug in die Stellung der schwarzen Bauern ein, wurde selbst geschlagen, ein zweiter schwarzer Bauer wurde weggenommen, und Berndorf sah sich zwei verbundenen weißen Freibauern gegenüber.
    »Hübsches Opfer«, sagte er.
    »Ja«, meinte Veesendonk gedehnt, »aber Schwarz hat einen Offizier mehr, damit lässt sich noch viel bewirken... Haben Sie in Berlin einen neuen Club gefunden?«
    »Nein«, antwortete Berndorf und machte einen Zug, der den Vormarsch der beiden Freibauern noch ein wenig aufhalten mochte oder auch nicht. »Es hat sich nichts ergeben.« In Wahrheit hatte er gar nicht erst gesucht. Schon die letzten Jahre in Ulm war ihm die Lust vergangen, lange Samstagnachmittage am Schachbrett zu verbringen, begleitet vom kaum hörbaren Ticken der Schachuhren, immer in der meist vergeblichen Hoffnung, dem stumpfen, hockenden Brüten durch eine befreiende, alles auflösende Kombination endlich zu entkommen.
    »Wenn einer ein zweites Berufsleben beginnt, hat er ja auch kaum die Zeit dafür«, sagte Veesendonk, wies auf das Schachbrett und machte gleichzeitig den nächsten Zug, der einen Turmtausch erzwang. »Sie arbeiten jetzt für ein Detektivbüro oder haben selbst eines eröffnet?«

    Berndorf erwiderte nichts, sondern sah sich noch einmal seine Stellung an, die Hand erhoben, als wolle er gleich den gegnerischen Zug beantworten. Doch dann überlegte er es sich anders, legte zum Zeichen der Aufgabe seinen König um, holte aus seiner Brieftasche eine Visitenkarte heraus und reichte sie dem Richter.
    »Das kommt aber sehr früh«, meinte Veesendonk, fast ein wenig enttäuscht. »Freilich - die Bauern hätten sich wirklich nicht mehr aufhalten lassen.« Er nahm die Karte und las sie schweigend.
    »Ermittlungen«, sagte er dann. »Sehr lakonisch. Aber es passt zu Ihnen. Ich entnehme daraus, dass Sie Ihr eigener Herr sind?«
    Berndorf machte eine Handbewegung, die als Zustimmung gedeutet werden mochte.
    »Und dass Sie sich jetzt in Ulm aufhalten, bedeutet, dass Sie von Eisholm geholt worden sind.« Er lehnte sich zurück und betrachtete Berndorf so aufmerksam, als beginne erst jetzt die eigentliche Partie.
    »Zudem war der Auftrag so definiert«, fuhr der Richter fort, »dass er durch Eisholms Ableben nicht beendet ist.« Er lächelte schmal. »Außerdem sind Sie der Ansicht oder schließen nicht aus, dass der Tod von Eisholm doch mit dem Fall Morny zusammenhängt.«
    Die Bedienung kam, und Berndorf bestellte noch einen Tee.
    »Schließlich wissen Sie bereits, dass ich einer der Letzten war, die mit Eisholm gesprochen haben. Wüssten Sie es nicht, wären Sie nicht hier.«
    Berndorf sah auf. »Diesmal irren Sie«, sagte er.
    »Das wissen Sie nicht?«, fragte der Richter. »Es war aber so. Er kam nach der Verhandlung noch zu mir in mein Büro... das interessiert Sie nicht?«
    Berndorf schüttelte den Kopf.
    »Aber dann verstehe ich nicht, was Sie hierher geführt hat«, meinte Veesendonk. »Oder wollten Sie nur mal wieder eine gepflegte Partie Schach spielen? Das ehrt mich natürlich...« Er
brach ab, denn im Gesicht seines Gegenübers hatte sich etwas verändert. So, als wäre eine Maske abgelegt worden.
    »Erzählen Sie mir von Vren«, sagte Berndorf.
     
     
     
    Kuttler stellte seinen Wagen an der Straße ab, die steil hinauf zur Wilhelmsburg führte, stieg aus und blieb einen Augenblick stehen. Die Luft war milder als an den Abenden zuvor, eine ferne Ahnung von Frühling lag darin, aber die kahlen Kronen der Bäume in den Gärten und auf dem alten Bollwerk über ihm glaubten nicht daran.
    Was tat er, was suchte er hier? Kuttler gestand sich ein, dass er es selbst nicht wusste. Die Kollegen im Dezernat - allen voran Dorpat - hielten ihn für überflüssig. Merkwürdig daran war, dass ihn das gar nicht weiter störte. Oder jedenfalls nicht sehr. Es war eben so, er war der, von dem man nichts erwarten darf und der nichts bringt. Also war er ein freier Mensch und konnte sich ansehen, was er anzusehen lustig fand.
    Vor ihm lag der Wall, der sich von der Wilhelmsburg den Hang hinunter zog und der einst das Vorfeld der Burg gegen Westen abschirmen sollte. Kuttler ging durch den niedrigen gemauerten Durchlass, der so dunkel war, dass er das Ende des Ganges nur als kaum wahrnehmbaren

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