Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 2) (German Edition)
befindet, sind es zu beiden Seiten etwa neun Meilen.«
»Das klingt weit«, sagte Zahar, während sie den Park Kensington Gardens betraten und einen Schleichweg benutzten, der durch ein Wäldchen führte. Dabei schaute er sich ständig um. Witterte er Gefahr?
David fürchtete sich nicht im Dunkeln, solange sein Beschützer an seiner Seite war, dennoch befiel ihn der Drang, Zahars Hand zu ergreifen. »Wenn es ein Mensch schafft, dann du erst recht.«
Zahar blieb stehen; er sah sich erneut um und hielt David am Arm zurück. »Ein Mensch hat diese weite Strecke zurückgelegt?« , wisperte e r.
David erschauderte. »Was ist? Folgt uns jemand?«
Zahar stand reglos da; seine Ohren zuckten. E ine geschätzte Mi nute später schüttelte er den Kopf. »Jetzt nicht mehr.«
»Wer war es?«
»Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall sind wir nun allein.«
Sie standen zwischen den Bäumen und starrten sich an. David hatte das Gefühl, Zahar würde ihn jede Sekunde an sich reißen und ihn küssen. Beinahe wünschte er sich das. Wie würde ein Kuss von diesen wundervollen Lippen schmecken?
Zahar legte seine behandschuhten Hände auf Davids Schultern. »Du zitterst. Hast du Angst?«
»Nein«, krächzte er. Seine Kehle war auf einmal trocken.
»Du brauchst dich auch nicht zu fürchten.« Zahar trat näher; ihre Körper berührten sich leicht. »Ich werde dich immer mit meinem Leben beschützen.«
»Das weiß ich«, flüsterte David und konnte den Blick nicht abwenden. Diese sündhaften Lippen lockten ihn. Sie lagen direkt vor seinen Augen.
Zahar beugte sich zu ihm, als es plötzlich im Geäst knackte. Sofort wich David zurück. »Was war das?« Sein Herz raste, aber nicht wegen des Geräusches.
»Ein Eichhörnchen«, erwiderte Zahar, dessen Stimme jetzt auch anders klang. Rauer. Tiefer.
David räusperte sich und setzte den Weg fort. »Also, wo waren wir …« Er kratzte sich am Kopf. Beinahe hätten sie sich geküsst! »Ach ja, der Mann, der den Ärmelkanal durchschwamm. Er hat das nicht freiwillig gemach t. Das war ein italienischer Soldat, ein Kriegsgefangener, der vor etwa fünfzig Jahren bei der Sc hlacht bei Waterloo seiner Gefangennahme entkam. Kurz bevor das Transportschiff Dover erreichte, sprang er von Bord. Die ganze Nacht hindurch schwamm er in Richtung französische Küste, wo ihn ein Fischer rettete.«
»Beeindruckend, wozu ihr Menschen fähig seid.« Zahars Stimme klang immer noch dunkel.
»Der Wille zu überleben bringt Meisterleistungen hervor.« Abrupt hielt David an. Eine dicke Wolke hatte sich vor den Mond geschoben. »Mist, ich bin blind wie ein Maulwurf.« Er hielt den Arm in die Höhe, damit ihm kein Ast ins Gesicht schlug.
»Wo willst du hin?«, fragte Zahar und David glaubte, ein Lächeln aus seiner Stimme zu hören.
»Zum Round Pond. Das ist dieser kleine See …«
»Ich kenne ihn«, sagte er und ergriff seine Hand. »Komm, Maulwurf.«
Als David den festen, warmen Händedruck spürte, wollte ihm das Herz aus der Brust springen. Trotz der Handschuhe schien seine Haut zu brennen. Erneut waren sie sich so nah. Leider dauerte der innige Moment viel zu kurz. Die Wolke wanderte weiter, außerdem verließen sie den Schutz der Bäume und betraten den breiten Broad Walk, der am Kensington Palast vorbeiführte. Hastig ließ David Zahars Hand los. Hier begegneten sie dem einen oder anderen nächtlichen Besucher.
Wenige Minuten später standen sie vor dem kleinen See und David erkannte das Problem, bevor Zahar es ansprach: »Das ist hier wie auf dem Präsentierteller.« Kein Baum, kein Busch wuchs in näherer Umgebung. Jeder, der an der Straße vorbeikam, könnte sie entdecken.
Mist. David war dieser Teich zuerst in den Sinn gekommen, weil er hier oft saß und den Männern zusah, die mit ihren Modellsegelbooten Rennen veranstalteten. Das Ufer war flach, Kinder liefen an heißen Sommertagen durch das niedrige Wasser.
»Lass uns weiter gehen, Richtung Hyde Park«, sagte Zahar. »An der Serpentine gibt es genug Böschung. An dem See habe ich mich schon öfter gewaschen.«
Die Serpentine war mit über elf Hektar der größte See in London. Warum war David der nicht eingefallen!? »Eine vorzügliche Idee.«
Sie wanderten durch die dunklen Gärten, wobei die Kieswege wie helle Bänder vor ihnen lagen. Der Himmel klarte auf und der Mond schien nur für sie zu leuchten. Zahar führte David zwischen Büschen und Bäumen abseits der Pfade hindurch.
»Wieso kannst du nicht schwimmen?«, wollte David
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