Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 2) (German Edition)
schadete nicht. Schlimmer konnte es nicht werden.
***
Widerwillig hatte Zahar von der Paste gekostet und die restliche Fahrt auf Davids Schoß liegend verbracht. David ignorierte die Schmerzen in Oberschenkel und Rücken. Er wollte nur Zahar halten und für ihn da sein. Die letzten Meilen bis nach Amiens zogen sich ewig. Es wurde heller und die Sonne strahlte in ihr Abteil. Immerhin blieb Zahars Zustand stabil.
»Das tut gut«, sagte er und hielt das Gesicht ins Licht.
»Hilft dir die Sonne bei der Genesung?«
»Schon möglich«, erwiderte Zahar leise. Seine neue Stimme klang ungewohnt, passte jedoch besser zu seinem menschlichen Aussehen. »Wenn ich meinen Steinschlaf halte, suche ich mir oft einen Ort, an dem ich viel Licht abbekomme. Wenn ich aufwachte, fühle ich mich frischer.«
Es war durchaus möglich, dass die Strahlung Zahar mit neuer Energie auflud. Reptilien wärmten sich ebenfalls in der Sonne auf, um neue Lebenskraft zu tanken. David wünschte sich so sehr, Zahar möge es bald besser gehen. Schweißtropfen glitzerten auf seiner nackten Brust, die David mit dem zerschlissenen Hemd regelmäßig abwischte. Ihm war es egal, falls sich Zahar wieder zurückverwandelte, obwohl ihm sein neues Aussehen sehr gut gefiel. Gemeinsam könnten sie auch tags über etwas unternehmen, sich in der Öffentlichkeit zeigen, durch den Park schlendern und Museen besuchen. Aber auf all das würde David liebend gern verzichten, solange Zahar gesund blieb.
Leider wurden seine Wünsche nicht erhört. Um sieben Uhr morgens begann Zahar Blut zu husten. Das Dämonengift griff bereits seine Organe an.
***
Als sie eine Stunde später endlich im Bahnhof von Amiens hielten, stand Zahar schwankend auf und schaute aus dem Fenster. Seine heiße Stirn berührte das Glas. »Wie anders die Welt bei Tage aussieht. Viel lebendiger.«
David hatte keine Blicke für seine Umgebung übrig, die Passagiere, die aus dem Zug strömten und die Gepäckträger, die zu Hilfe eilten, sondern beobachtete nur Zahar. Eigentlich hatte David vorgehabt, am Vormittag die Kathedrale von Amiens zu besichtigen, die das größte französische Kirchengebäude des Mittelalters gewesen war, aber seine Pläne waren hinfällig.
Er half Zahar, den Mantel umzulegen, sammelte die Kristalle ein, nahm ihr Gepäck an sich und gemeinsam verließen sie den Wagon. Dabei schaute sich David ständig um, ob Dämonen in der Nähe waren. Falls ja, zeigten sie sich nicht.
So schnell Zahars Füße ihn tragen konnten, gingen sie zum Gasthaus, das David vom Fahrkartenverkäufer in London empfohlen bekommen hatte. Es lag wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt, aber auch dieser Weg zog sic h in die Länge. Zahar schlug sich tapfer und musste sich bloß drei Mal bei David abstützen. Er wirkte sogar munterer als eben im Abteil.
»Sieh nur diese Farben überall!« Zahar deutete auf eine Wiese. »Die Blüten, wie sie leuchten!«
David schaute genauer hin. Da er selbst ein Nachtmensch war und seine Umgebung meist bei Kerzenschein betrachtete, musste er Zahar zustimmen. Die Welt bei Tag war bunter. Doch was wollte David mit einer farbenprächtigen Welt, wenn Zahar nicht mehr bei ihm war? »Komm«, sagte er, »du musst dich hinlegen. Ich sehe schon unsere Unterkunft.«
Das kleine Fachwerkhaus lag nur noch wenige Schritte entfernt. Die untere Etage bestand aus Ziegelsteinen, und Blumenkästen hingen vor den Fenstern. Der erste Stock strahlte in einem grellen Weiß. Darüber befand sich ein spitzes Dach aus beinahe schwarzem Holz. Es war ein Haus wie aus einem Märchen.
Dem seltsam dreinschauenden Wirt mit dem runden Bauch und den geröteten Wangen erklärte David auf Französisch, dass sein Freund die Zugfahrt nicht vertragen hätte und sich ausruhen müsse. Sie bekamen auch gleich ein Zimmer im Dachgeschoss und David öffnete das Fenster, um Sonne hereinzulassen. Anschließend schob er das Bett davor, sodass sich Zahar hinlegen konnte und möglichst viel heilsame Strahlung abbekam. David verteilte die Kristalle, holte aus der Gaststube eine Kanne Wasser und bestellte Fleischbrühe. Dabei überlegte er, welches Kraut Zahar helfen könnte, doch ihm fiel keines ein. Er hatte sich zu lange nicht mehr mit Kräuterkunde beschäftigt.
Während David feuchte Tücher auf Zahars Stirn legte, ihm ständig zu trinken gab oder Suppe in ihn löffelte, wälzte sich Zahar im Bett hin und her. Sein Husten wurde schlimmer. »Mir ist so heiß.« Er strampelte das Laken bis zur Hüfte nach unten.
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