Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 3) (German Edition)
seines Vaters zu vollenden! Dabei handelte es sich gewiss um irgendein perverses Vorhaben, dem Nuriel und Zuhra beinahe zum Opfer gefallen wären. Es ging nicht um den Fluch, sondern um viel mehr!
»D-du hast mich belogen. Die ganze Zeit!« Zahars Stimme brach. »Ich war nur Mittel zum Zweck.«
»Du hättest doch sicher nichts dagegen bei der Erschaffung einer Rasse mitzuwirken, die den Dämonen ein für alle Mal den Garaus macht. Im Gegenzug darfst du all die abscheulichen, verbotenen Dinge mit mir tun.«
Abscheulich? Zahar schluckte. »Ich dachte, du liebst mich«, wisperte er. Sein Herz verkrampfte sich, Tränen schossen ihm in die Augen. Hatte er sich wirklich so in David getäuscht? Hatte er ihm nur etwas vorgespielt? »So kenne ich dich nicht. Das bist nicht du, der da spricht.«
»Und wie ich das bin. Niemals habe ich mich lebendiger gefühlt!« David fasste ihm an die Schultern. »Du und ich. Wir werden berühmt werden. Natürlich müssen wir dafür Opfer bringen. Du hast Jules gehört; es wird uns nicht gelingen, den Fluch zu brechen, aber eine neue Rasse können wir hervorbringen. Medizin, Wissenschaft und Magie werden sich vereinen, um ein Wesen zu erschaffen, wie es die Welt noch nie gesehen hat.«
Zahar blieb die Luft weg. »Du bist Schriftsteller, David. Das Schreiben ist deine Leidenschaft! Das dachte ich zumindest …«
Jules hatte nicht sehen können, was heute geschehen würde. Hatte es David geschafft, seinen Geist vor dem Magier zu verschließen?
Zahar schaute in den großen Badezimmerspiegel. Seine Fänge waren gefletscht, sein Gesicht vor Wut und Schmerz verzerrt. Wie in der Vision. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Krallen ausgefahren waren und er knurrte. Wenn er nicht bald von hier wegkam, würde er David vielleicht verletzen!
Schlagartig wich Zahar zurück. Er musste nach London, musste zu Nuriel, um zu erfahren, was damals passiert war und was David mit der Sache zu tun hatte. Falls er es überhaupt so weit schaffte. Zahar wusste nicht, wie er das Erlebte verarbeiten sollte. David hatte ihn ausgenutzt!
Sein Herz blutete. Er wollte nur noch sterben. Blindlings stürmte er aus dem Hotel und rannte durch die Nacht, so weit weg von David wie er konnte.
***
Zahar hatte David nicht aus den Augen lassen können. Nachdem er über den Dächern der Stadt durch halb Paris gesegelt war, hatte ihn sein Weg unbewusst zum Bahnhof geführt. Bald hatte er David gewittert und war ihm zum Zug gefolgt. Immerhin hatte Zahar seiner Großmutter versprochen, auf ihn aufzupassen. Außerdem musste er selbst nach London, da konnte er denselben Zug nehmen wie dieser, dieser … Zahar fand kein passendes Wort für den Mann, den er geliebt hatte. Den er immer noch liebte, so sehr, dass er glaubte vor Schmerz zu sterben. Wenn ein Gargoyle liebte, dann intensiv und für alle Ewigkeit. Das wurde ihm jetzt so richtig bewusst.
Als blinder Passagier fuhr er im Gepäckabteil mit, versteckt zwischen Koffern und Paketen. Vor Kummer hatte er sein Hemd zerrissen sowie den Mantel abgeworfen und trug nur die Hose. Kein Mensch sollte ihn zu Gesicht bekommen.
Zahar wusste nicht, wie viel Zeit bereits vergangen war – für ihn kam es wie Stunden vor. Die Einsamkeit und das Rattern des Wagons machten ihn wahnsinnig. Ununterbrochen spielte er die Szene im Badezimmer durch und wurde verzweifelter und trauriger, je mehr er darüber nachdachte. David und er hatten so viel zusammen erlebt. Schöne Stunden voller Leidenschaft und Freundschaft. Das konnte doch nicht gespielt gewesen sein! Ihre intensiven Gespräche, Jules Visionen über ihre gemeinsame Zukunft … Zahar hatte David jahrelang beobachtet. Er war nicht so, wie er ihn eben erlebt hatte.
Wütend rammte er seine Hörner gegen eine Holzkiste, bis sein Kopfschmerz den Schmerz seines Herzens überdeckte.
Nein, es hatte keinen Sinn sich zu verletzen. Er brauchte Gewissheit! Was, wenn es nicht David gewesen war, den er gesehen hatte? Doch dieser Mann hatte wie er gerochen, deshalb schloss Zahar einen Dämon, der ihn täuschen wollte, aus.
Seufzend kroch er aus seinem Versteck und schob die schwere Tür des Wagens auf. Er rauschte an Bäumen, die wie schwarze Ungetüme in den Nachthimmel ragten, vorbei. Was, wenn David in Gefahr war? Oder ein Dämon ihn längst … Zahar musste noch einmal zu ihm, musste ihn sehen, mit ihm reden. Er trieb seine Krallen in die Außenwand und kletterte aufs Dach. Der kühle Fahrtwind riss an seinen Schwingen und Rauch der Lokomotive drang
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