Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 3) (German Edition)
Seufzend rieb er sich über die Brust. Er hatte das Gefühl, auf seinem Herzen ruhe eine schwere Last. Wahrscheinlich war er nur erschöpft. Tief atmete er durch, steckte die Karte weg und musterte das Geschäft, das von außen dunkel und wenig einladend aussah. Das Schaufenster war so mit alten, staubigen Büchern zugestellt, dass einem der Blick auf das Innere verwehrt blieb. Es wirkte unscheinbar, um normale Menschen fernzuhalten, vermutete David.
Beim Blick auf den Türknauf, der eine gusseiserne Schlange zeigte, die sich in den Schwanz biss, wusste er: Hier war er richtig.
Ein Glöckchen bimmelte, als er in den düsteren Laden trat. Sofort schlug ihm der Geruch von Papier, Leder und Druckerschwärze entgegen. David liebte diesen Duft. Gleich fühlte er sich wohl. Zu beiden Seiten erstreckten sich eng stehende Regalreihen voller Bücher, während vor ihm der Tresen lag. Dahinter hockte ein älterer Herr. Eine große Brille saß auf seiner Nasenspitze. Er schob sie nach oben, strich die wenigen grauen Strähnen seines Haares glatt und erhob sich.
»Guten Tag«, sagte David auf Französisch und musste nach unten sehen, weil der Mann so klein war. »Ich suche ein Buch über Heilkräuter und ihre Verwendung bei Vergiftungen und Krankheiten aller Art.«
Der Alte nickte und schlurfte um den Tresen herum. David folgte ihm zu einem Regal, aus dem er ein in blaues Leder gebundenes Büchlein zog. »Kräuterzauber für alle Lebenslagen von Leonora Minx«, sagte der Buchhändler mit leicht krächzender Stimme. »Allerdings kann ich Ihnen nur die französische Ausgabe anbieten.«
»Das ist kein Problem.« David schmunzelte. Sein englischer Akzent war dem alten Mann nicht entgangen.
Wenn er schon hier war, konnte er sich gleich mit weiteren Büchern eindecken. Es wurde Zeit, seine wenigen Zauberkenntnisse aufzufrischen. Solange Zahar den Steinschlaf hielt und David nicht mehr ruhen wollte, hätte er Beschäftigung. Wer wusste, wie lange er nicht nach Hause kommen würde.
»Haben Sie auch das Buch von Joseph Schachtelhalm? Grundlagen der Zauberei?«
Der Verkäufer schlurfte eine Reihe weiter und holte ein grünes Buch aus dem Regal. »Sie haben Glück, ist meine letzte englische Ausgabe.« Er drückte beide Bücher an seine Brust. »Darf es noch etwas sein? Ein Verschleierungszauber vielleicht?«
»Wie viel würde der kosten?« David folgte dem Mann zum Tresen. Da er diesen Zauber nicht beherrschte, er aber durchaus nützlich war, klang das Angebot verlockend. Falls ihn jemand mit diesen Büchern erwischte, hätte er keine Konsequenzen zu fürchten, da für normale Menschen ein anderer Text auf und in den Büchern zu lesen wäre. Zu schnell geriet man in Verruf.
»Der Zauber kostet Sie einen Franc pro Buch«, sagte der Händler lächelnd und entblößte eine Zahnlücke. Er machte keinen Hehl daraus, Davids Unfähigkeit schamlos auszunutzen.
Das ist Wucher! , wollte er antworten, biss sich jedoch auf die Zunge und nickte stattdessen. Ihm war es peinlich genug nach einem Buch gefragt zu haben, das bereits siebenjährige Hexen und Zauberer auswendig kannten. Natürlich hatte er das Werk ebenfalls zuhause, irgendwo zwischen seinen nicht-magischen Büchern, nur brauchte er es jetzt. Er hätte das Werk für jemand anderen besorgen können, aber seine Unkenntnisse waren für den Alten anscheinend offensichtlich. Weil David den Uroboros-Ring nicht trug?
Er holte die Centimes und Franc s, die Granny ihm mitgegeben hatte, aus der Tasche und bezahlte.
Der Händler ließ das Geld in eine Schublade fallen, schlug die Bücher auf und murmelte den Zauber. Die Buchstaben verschoben sich wie von Geisterhand und bildeten einen anderen Text. Wenn David das Buch lesen wollte, musste er »acclarare« sagen. Schlug er es zu, verschoben sich die Lettern erneut. Die meisten von Vaters wissenschaftlichen Aufzeichnungen waren auch mit dem Zauber geschützt gewesen. Nur nicht die in seinem Notizbuch, da er das den Unternehmern gezeigt und sicherheitshalber den Zauber zuvor gelöst hatte. Wegen des Trubels der Ausstellung hatte Vater wohl vergessen, den Zauber wieder zu aktivieren.
Nachdem der Alte fertig war, wickelte er die Bücher in braunes Papier ein und band einen dicken Faden darum.
»Vielen Dank.« David nahm das Paket an sich. »Ich werde mich noch ein wenig umsehen.« Er hielt sich gerne in Buchhandlungen auf und im Moment fühlte er sich nicht müde genug, um ins Hotel zurückzugehen. Zahar schlief ohnehin im Schutz der
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