Beim Leben meiner Schwester
»Und trotzdem hat es hier drin jede Menge Platz.«
Ich drehe mich zu Richter DeSalvo um. »Ich wollte diese Verhandlung nicht, aber es gab keinen anderen Weg. Das Gesetz verlangt, daà ein solcher Antrag â selbst wenn er von dem eigenen Kind gestellt wird â erwidert wird. Und deshalb war ich dazu gezwungen, möglichst einleuchtend zu erklären, warum ich glaube, daà ich besser als Anna weiÃ, was gut für sie ist. Aber es ist gar nicht so leicht, anderen zu erklären, was man glaubt. Wenn man sagt, daà man glaubt , etwas sei richtig, kann das zweierlei bedeuten â daà man noch immer dabei ist, die Alternativen abzuwägen, oder daà man es als Tatsache akzeptiert hat. Rein logisch verstehe ich nicht, wieso ein und dasselbe Wort so gegensätzliche Bedeutungen haben kann, aber emotional kann ich das absolut nachvollziehen. Weil es nämlich manchmal so ist, daà ich glaube, richtig zu handeln, und dann wiederum kommt es vor, daà ich bei jeder kleinen Entscheidung unsicher bin.
Selbst wenn das Gericht heute in meinem Sinne entscheidet, könnte ich Anna nicht zwingen, eine Niere zu spenden. Das könnte niemand. Aber würde ich sie darum bitten? Würde ich es wollen, selbst wenn ich mich zurückhielte? Ich weià es nicht, auch nicht, nachdem ich mit Kate gesprochen und Anna zugehört habe. Ich bin nicht sicher, was ich glauben soll. Ich war es nie. Nur zwei Dinge weià ich mit Sicherheit: Daà es in dieser Verhandlung eigentlich nicht um die Nierenspende geht ⦠sondern darum, selbst entscheiden zu können. Und daà kein Mensch je völlig unabhängig entscheiden kann, auch dann nicht, wenn ein Richter ihm das Recht dazu gibt.«
Zum Schluà sehe ich Campbell an. »Vor langer Zeit war ich mal Anwältin. Aber ich bin es nicht mehr. Ich bin Mutter, und das, was ich während der letzten achtzehn Jahre in dieser Eigenschaft getan habe, ist schwieriger als alles, was ich je in einem Gerichtssaal tun muÃte. Mr. Alexander, zu Beginn dieser Anhörung haben Sie gesagt, daà niemand verpflichtet ist, in ein brennendes Gebäude zu laufen, um einen anderen aus dem Feuer zu retten. Aber das ändert sich schlagartig, sobald man Vater oder Mutter geworden ist und der Mensch in dem brennenden Gebäude das eigene Kind ist. In diesem Fall würde nicht nur jeder verstehen, wenn man hineinliefe, um sein Kind rauszuholen â alle würden es erwarten.«
Ich hole tief Luft. »In meinem Leben gab es auch so ein brennendes Haus, und eines meiner Kinder war darin â aber die einzige Möglichkeit, es zu retten, war die, meine zweite Tochter hineinzuschicken, weil nur sie den Weg kannte. Ja, ich wuÃte, daà es gefährlich ist. Ja, mir war klar, daà ich sie möglicherweise beide verlieren könnte. Ja, ich sehe ein, daà es vielleicht nicht fair war, sie darum zu bitten. Aber ich wuÃte auch, daà es die einzige Chance war, sie beide zu behalten. War es legal? War es moralisch vertretbar? War es verrückt oder töricht oder grausam? Ich weià es nicht. Aber eines weià ich: Es war richtig.«
Ich bin fertig und nehme wieder an meinem Tisch Platz. Der Regen prasselt gegen die Fenster rechts von mir. Ich frage mich, ob er je wieder aufhört.
CAMPBELL
Ich stehe auf, blicke auf meine Notizen und mache es wie Sara â ich werfe sie in den Mülleimer.
»Wie Mrs. Fitzgerald gerade gesagt hat, geht es in dieser Anhörung nicht um Annas Nierenspende. Es geht auch nicht darum, daà sie eine Hautzelle spendet, eine einzige Blutzelle, eine DNA-Kette. Es geht um ein Mädchen, das dreizehn Jahre alt ist â und das ist anstrengend und schmerzhaft und wunderbar und schwierig und lustig. Es geht um Anna, die vielleicht noch nicht weiÃ, was sie will und wer sie ist, die aber die Chance verdient hat, es herauszufinden. Und meiner Meinung nach wird sie in zehn Jahren ziemlich umwerfend sein.«
Ich gehe auf den Richter zu. »Wir wissen, daà von den Fitzgeralds Unmögliches verlangt wurde â nämlich informierte Behandlungsentscheidungen für ihre beiden Kinder zu treffen, die aber gegenläufige medizinische Interessen hatten. Und wenn wir â wie die Fitzgeralds â nicht wissen, welche Entscheidung richtig ist, dann sollte der Mensch das letzte Wort haben, um dessen Körper es geht ⦠auch wenn es sich dabei um eine Dreizehnjährige handelt. Und letzten
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