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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Springfluten und Archen denken mußt. Die Art von Regen, die dir sagt, du solltest wieder ins Bett kriechen, wo die Laken noch immer warm sind, und so tun, als wäre es fünf Minuten früher, als es in Wirklichkeit ist.
    Ihr könnt jedes Kind ab der vierten Klasse fragen, und es wird euch bestätigen: Wasser hört niemals auf sich zu bewegen. Regen fällt herab und rinnt dann einen Berg hinunter in einen Fluß. Der Fluß fließt ins Meer, verdunstet dort wie eine Seele in die Wolken. Und dann geht es wieder von vorn los, wie bei allem anderen auch.
    BRIAN
    Es regnet.
    Wie an dem Tag von Annas Geburt. Es war Silvester und viel zu warm für die Jahreszeit. Es schneite nicht, es goß in Strömen. Die Skipisten hatten schon Weihnachten gesperrt werden müssen, weil der ganze Schnee weggespült worden war. Auf der Fahrt zum Krankenhaus, mit Sara neben mir, bei der die Wehen eingesetzt hatten, konnte ich kaum durch die Windschutzscheibe sehen.
    Wegen den ganzen Regenwolken waren in dieser Nacht keine Sterne zu sehen. Und vielleicht war das der Grund, warum ich, als Anna schließlich da war, zu Sara sagte: »Nennen wir sie Andromeda. Kurz Anna.«
    Â»Andromeda?« fragte sie. »Wie dieser Nebel?«
    Â»Wie die Prinzessin«, verbesserte ich sie. Der Kopf unserer Tochter war wie ein winziger Horizont, über dem ich Saras Blick auffing. »Im Himmel«, erkläre ich, »ist sie zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater.«
    SARA
    Es regnet.
    Kein verheißungsvolles Zeichen, denke ich. Ich schiebe meine Karteikarten auf dem Tisch hin und her und versuche, routinierter auszusehen, als ich es in Wahrheit bin. Wem hab ich denn was vormachen wollen? Ich bin keine Anwältin, keine berufstätige Frau. Ich bin nur eine Mutter, und selbst in diesem Job war ich nicht sonderlich erfolgreich.
    Â»Mrs. Fitzgerald?« sagt der Richter auffordernd.
    Ich atme tief durch, starre auf das Geschreibsel vor mir und greife mir den ganzen Stapel Karteikarten. Beim Aufstehen räuspere ich mich und fange an abzulesen. »In unserem Land ist es seit langer Zeit gesetzlich verbrieft, daß Eltern Entscheidungen für ihre Kinder treffen, und zwar, wie verschiedene Gerichte entschieden haben, auf Grundlage des verfassungsmäßigen Rechtes auf Privatsphäre. Nach allem, was bei dieser Verhandlung zutage gekommen ist –« Plötzlich kracht ein Blitz, und mir fallen alle Notizen aus der Hand. Ich knie mich hin und hebe sie hastig auf, aber jetzt sind sie natürlich nicht mehr in der richtigen Reihenfolge. Ich versuche, sie zu sortieren, aber es will mir einfach nicht gelingen.
    Ach, verdammt. Da steht sowieso nichts von dem, was ich eigentlich sagen will.
    Â»Euer Ehren«, sage ich, »kann ich noch mal von vorn anfangen?« Als er nickt, wende ich ihm den Rücken zu und gehe zu meiner Tochter, die neben Campbell sitzt.
    Â»Anna«, sage ich zu ihr. »Ich liebe dich. Ich habe dich schon geliebt, bevor ich dich das erste Mal sah, und ich werde dich lieben, auch wenn ich längst nicht mehr da bin, um es dir zu sagen. Ich weiß, als Mutter müßte ich eigentlich immer wissen, was richtig ist, aber das ist nicht so. Ich frage mich jeden Tag neu, ob ich das Richtige tue, ich frage mich, ob ich meine Kinder so gut kenne, wie ich glaube, sie zu kennen. Ich frage mich, ob ich den Blick dafür verliere, deine Mutter zu sein, weil ich so damit beschäftigt bin, Kates Mutter zu sein.«
    Ich mache ein paar Schritte nach vorn. »Ich weiß, ich klammere mich an jeden noch so kleinen Hoffnungsstrahl, daß Kate geheilt werden könnte, ich kann gar nicht anders. Und selbst wenn du dagegen bist und selbst wenn Kate dagegen ist, träume ich trotzdem davon, daß ich irgendwann sagen kann: Ich hab’s doch gewußt. In zehn Jahren möchte ich deine Kinder auf deinem Schoß und in deinen Armen sehen, weil du mich dann nämlich verstehen wirst. Ich habe eine Schwester, deshalb weiß ich, daß es in einer Geschwisterbeziehung immer um Fairneß geht: Du willst genau das gleiche haben wie dein Bruder oder deine Schwester – genausoviel Spielzeug, genausoviel Spaghetti auf dem Teller, genausoviel Liebe. Aber Mutter zu sein ist etwas ganz anderes. Da willst du, daß dein Kind mehr hat, als du je hattest. Am liebsten würdest du erleben, wie es den Himmel erobert. Das Gefühl ist größer als Worte.« Ich klopfe mir auf die Brust.

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