Beim Leben meiner Schwester
Fitzgerald. Anna Fitzgeralds Mutter.« Ich blicke zu ihrer Tochter hinüber, die nur wenige Meter von mir entfernt meinen Türknauf poliert.
»Mrs. Fitzgerald«, sage ich, und wie erwartet, erstarrt Anna in der Bewegung.
»Ich rufe an wegen ⦠na ja, also das Ganze ist ein MiÃverständnis.«
»Haben Sie eine Antragserwiderung eingereicht?«
»Das wird nicht nötig sein. Ich habe gestern abend mit Anna gesprochen, und sie will die Sache nicht weiterverfolgen. Sie will Kate helfen, so gut sie kann.«
»Aha.« Meine Stimme wird ausdruckslos. »Wenn meine Mandantin von dem Verfahren Abstand nehmen will, dann muà ich das leider aus ihrem eigenen Mund hören.« Ich hebe die Augenbrauen, fange Annas Blick auf. »Sie wissen nicht zufällig, wo sie ist?«
»Sie ist joggen«, sagt Sara Fitzgerald. »Aber wir fahren heute nachmittag zum Gericht. Wir reden mit dem Richter und schaffen die Sache aus der Welt.«
»Dann sehen wir uns wohl dort.« Ich lege auf und verschränke die Arme, den Blick auf Anna. »Möchtest du mir was sagen?«
Sie zuckt die Achseln. »Eigentlich nicht.«
»Das sieht deine Mutter anscheinend anders. AuÃerdem denkt sie, du trainierst für die Olympischen Spiele.«
Anna blickt hinaus in den Empfangsbereich, wo Kerri, wie nicht anders zu erwarten, die Ohren weit aufgesperrt hat. Sie schlieÃt die Tür und kommt an meinen Schreibtisch. »Ich konnte ihr nicht sagen, daà ich zu Ihnen will, nicht nach gestern abend.«
»Was war denn gestern abend?«
Als Anna verstummt, verliere ich die Geduld. »Jetzt hör mir mal zu. Wenn du die Sache nicht mehr durchziehen willst ⦠wenn das hier nur eine kolossale Zeitvergeudung ist ⦠dann wäre es mir lieber, du bist so ehrlich, es mir jetzt gleich zu sagen als später. Ich bin nämlich weder Familientherapeut noch dein bester Kumpel. Ich bin dein Anwalt. Und um dein Anwalt zu sein, brauche ich ein Mandat. Also frage ich dich jetzt noch einmal: Hast du deine Meinung geändert und willst einen Rückzieher machen?«
Ich gehe fest davon aus, daà meine Standpauke das Ende der Geschichte bedeutet, daà Anna jetzt erst recht nicht mehr weiÃ, was sie will. Aber zu meiner Verblüffung blickt sie mich direkt an, kühl und gefaÃt. »Sind Sie noch immer bereit, mich zu vertreten?« fragt sie.
Wider bessere Einsicht sage ich ja.
»Dann nein«, sagt sie, »ich habe meine Meinung nicht geändert.«
Als ich das erste Mal mit meinem Vater bei einer Yachtclubregatta mitmachte, war ich vierzehn, und er war zuerst strikt dagegen. Ich sei noch nicht alt genug, ich sei noch nicht reif genug, das Wetter sei zu unsicher. In Wirklichkeit wollte er mich nur nicht dabei haben, weil er dachte, daà ich seine Chancen auf den Cup verringern würde. In den Augen meines Vaters muÃte man perfekt sein, um für ihn überhaupt zu existieren.
Sein Boot war eine schnittige Segelyacht, ein Prachtstück aus Mahagoni und Teak, das er dem Keyboarder J. Geils in Marblehead abgekauft hatte. Mit anderen Worten, ein Traum, ein Statussymbol und ein Initiationswerkzeug, schön verpackt in leuchtend weiÃen Segeln und einem honigfarbenen Rumpf.
Wir paÃten den Start genau ab und überquerten die Linie bei vollem Segel genau in dem Augenblick, als der Kanonenschuà fiel. Ich tat, was ich konnte, um immer schon eine Sekunde schneller dort zu sein, wo mein Vater mich brauchte â nahm das Ruder, bevor er es mir sagte, kreuzte und wendete, bis mir die Muskeln weh taten. Und vielleicht hätte es sogar ein Happy-End gegeben, doch dann zog von Norden her ein Unwetter auf. Es schüttete wie aus Eimern, und drei Meter hohe Wellen warfen uns auf und nieder.
Ich beobachtete meinen Vater, wie er sich in seiner gelben Ãljacke bewegte. Er schien den Regen gar nicht wahrzunehmen, er hatte offensichtlich nicht den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen und den seekranken Magen festzuhalten und nur noch zu sterben, so wie ich. »Campbell«, schrie er, »wenden.«
Doch in den Wind zu wenden hätte eine weitere Achterbahnfahrt zur Folge gehabt. »Campbell«, wiederholte mein Vater, »nun mach schon.«
Ein Wellental öffnete sich vor uns. Das Boot neigte sich so jäh, daà ich den Halt verlor. Mein Vater hechtete an mir vorbei und packte das Ruder. Eine selige Sekunde lang wurden die Segel schlaff. Dann schlug
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