Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Ihnen gesagt, daß sie auf dieses Verfahren verzichten will?«
    Â»Ja.«
    Er blickt mich an. »Und Ihnen hat sie gesagt, sie möchte keinen Rückzieher machen?«
    Â»Das ist richtig.«
    Â»Dann sollte ich mich mal direkt mit Anna unterhalten.«
    Als der Richter aufsteht und den Raum verläßt, folgen wir ihm. Anna sitzt mit ihrem Vater auf einer Bank im Korridor. An einem ihrer Turnschuhe ist der Schnürsenkel aufgegangen. Als wir uns ihnen nähern, blickt sie auf.
    Â»Anna«, sage ich, gleichzeitig mit Sara Fitzgerald.
    Es ist meine Pflicht, Anna zu erklären, daß Richter DeSalvo sich ein paar Minuten mit ihr unter vier Augen unterhalten will. Ich muß sie vorbereiten, damit sie das Richtige sagt, damit der Richter den Fall nicht abschmettert, ehe sie das bekommt, was sie will. Sie ist meine Mandantin, und somit müßte sie sich an meinen Rat halten.
    Doch als ich ihren Namen sage, wendet sie sich ihrer Mutter zu.
    ANNA
    Ich glaube nicht, daß viele Leute zu meiner Beerdigung kommen würden. Meine Eltern, klar, und Tante Zanne und vielleicht Mr. Ollincott, mein Gesellschaftskundelehrer. Ich stelle mir den Friedhof vor, auf dem meine Großmutter beerdigt wurde, aber der ist in Chicago, daher ist das eigentlich Quatsch. Ich stelle mir sanfte Hügel vor, die wie grüner Samt aussehen, und Statuen von Gott und Engeln und das große, braune Loch in der Erde, wie ein aufgeplatzter Saum, das den Körper verschlingen wird, der ich mal war.
    Ich stelle mir vor, daß meine Mom einen Hut mit schwarzem Schleier trägt, wie Jackie O., und schluchzt. Mein Dad hält sich an ihr fest. Kate und Jesse starren auf den glänzenden Sarg und bitten Gott, daß er ihnen noch mal vergibt für die vielen Male, die sie gemein zu mir waren. Könnte sein, daß auch ein paar aus der Hockeymannschaft kämen, Lilien in den Händen und um Fassung ringend. »Die Anna«, würden sie sagen, und sie würden nicht weinen, obwohl sie’s gern täten.
    Meine Todesanzeige würde auf Seite vierundzwanzig in der Zeitung stehen, und wenn Kyle McFee sie sehen würde, käme er vielleicht auch zur Beerdigung, das schöne Gesicht verzerrt vor lauter Trauer um das Mädchen, das leider nicht mehr seine Freundin werden kann. Ich stelle mir auch alle möglichen Blumen vor, Gartenwicken und Löwenmaul und dicke blaue Hortensien. Ich hoffe, jemand würde ›Amazing Grace‹ singen, nicht bloß die bekannte erste Strophe, sondern alle. Und später dann, wenn die Blätter sich verfärbt hätten und der erste Schnee fiele, würde ich ab und an in ihren Köpfen aufbranden wie eine Flutwelle.
    Zu Kates Beerdigung werden alle kommen. Krankenschwestern, mit denen wir uns angefreundet haben, und andere Krebspatienten, die noch auf ihren Glücksstern hoffen, und Leute aus der Stadt, die für Kates Behandlung Geld gesammelt haben. Sie werden Trauernde am Friedhofstor abweisen müssen. Es wird so viele üppige Blumengestecke geben, daß sie welche davon für wohltätige Zwecke verschenken. Die Zeitung wird einen Artikel über ihr kurzes und tragisches Leben bringen.
    Und zwar auf der ersten Seite, darauf könnt ihr wetten. Richter DeSalvo trägt Gummilatschen, wie Fußballer, wenn sie ihre Stollenschuhe ausgezogen haben. Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie fühle ich mich dadurch besser. Ich meine, es ist schon schlimm genug, daß ich überhaupt hier im Gericht bin und jetzt nach hinten in sein Zimmer geführt werde. Da tut es irgendwie gut, daß ich nicht die einzige bin, die nicht ganz in ihre Rolle paßt.
    Er nimmt zwei Dosen aus einem Zwergenkühlschrank und fragt, was ich trinken möchte. »Cola wäre toll«, sage ich.
    Der Richter öffnet eine Dose Cola. »Wußtest du, daß ein Milchzahn, den man in ein Glas Cola legt, nach ein paar Wochen völlig verschwunden ist? Kohlensäure.« Er lächelt mich an. »Mein Bruder ist Zahnarzt in Warwick. Zeigt den Trick jedes Jahr den Kindergartenkindern.«
    Ich trinke einen Schluck Cola und stelle mir vor, wie meine Innereien sich auflösen. Richter DeSalvo setzt sich nicht hinter seinen Schreibtisch, sondern auf einen Stuhl direkt neben mir. »Es geht um folgendes, Anna«, sagt er. »Deine Mom behauptet, du willst das eine, und dein Anwalt behauptet, du willst das andere. Nun, unter normalen Umständen, würde ich davon ausgehen,

Weitere Kostenlose Bücher