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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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an eine Leuchtwand. Kates Rippen sehen so dünn aus wie Streichhölzer, und etwas abseits von der Mitte ist ein großer, grauer Fleck zu erkennen. Meine Knie werden schwach, und ich halte mich unwillkürlich an Brians Arm fest. »Ein Tumor. Der Krebs hat gestrahlt.«
    Der Arzt legt mir eine Hand auf die Schulter. »Mrs. Fitzgerald«, sagt er, »das ist Kates Herz.«
    Pancytopenie ist ein kompliziertes Wort und bedeutet, daß Kates Körper keinen Schutz mehr gegen Infektionen besitzt. Es bedeutet, sagt Dr. Chance, daß die Chemo gewirkt hat – daß ein Großteil weißer Blutkörperchen in Kates Körper vernichtet wurde. Es bedeutet auch, daß eine Sepsis, eine Infektion nach der Chemo, nicht nur wahrscheinlich ist, sondern garantiert eintreten wird.
    Sie erhält eine Dosis Tylenol, um das Fieber zu senken. Man hat Blut-, Urin- und Bronchialsekretkulturen von ihr angelegt, um ihr die richtigen Antibiotika geben zu können. Erst nach sechs Stunden läßt der Schüttelfrost nach – der zum Teil so heftig war, daß sie beinahe aus dem Bett gefallen wäre.
    Die Krankenschwester – eine Frau, die Kate vor einigen Wochen mal Zöpfe geflochten hat, um sie zum Lächeln zu bringen – mißt ihre Temperatur und wendet sich dann an mich. »Sara«, sagt sie sanft. »Sie können jetzt wieder atmen.«
    Kates Gesicht sieht so winzig und weiß aus wie die fernen Monde, die Brian so gern durch sein Teleskop ausfindig macht – still, distanziert, kalt. Sie sieht aus wie ein Leichnam … und was noch schlimmer ist, es ist eine Erleichterung im Vergleich dazu, sie leiden zu sehen.
    Â»He.« Brian berührt mich am Hinterkopf. Er jongliert Jesse auf dem anderen Arm. Es ist fast Mittag, und wir sind noch immer im Pyjama. Wir haben gar nicht daran gedacht, etwas zum Anziehen mitzunehmen. »Ich gehe mit ihm in die Cafeteria, was essen. Möchtest du auch was?«
    Ich schüttele den Kopf. Ich rücke mit dem Stuhl näher an Kates Bett und streiche die Decke über ihren Beinen glatt. Ich nehme ihre Hand und messe sie an meiner.
    Ihre Augen öffnen sich einen Spalt. Einen Moment lang hat sie Mühe zu erkennen, wo sie ist. »Kate«, flüstere ich. »Ich bin hier.« Als sie den Kopf dreht und die Augen auf mich richtet, hebe ich ihre Handfläche an meinen Mund und drücke einen Kuß in die Mitte. »Du bist so tapfer«, sage ich und lächele. »Wenn ich groß bin, möchte ich so sein wie du.«
    Zu meiner Überraschung schüttelt sie heftig den Kopf. »Nein, Mommy«, sagt sie. »Dann wärst du krank.«
    In meinem ersten Traum tropft die Infusionsflüssigkeit zu schnell in Kates Port. Die Kochsalzlösung pumpt sie von innen auf wie ein Ballon, der aufgeblasen wird. Ich will die Infusion herausziehen, aber sie steckt fest. Ich kann zusehen, wie Kates Gesichtszüge sich glätten, verschwimmen, unkenntlich werden, bis ihr Gesicht nur noch ein weißes Oval ist, das einfach jeder sein könnte. In meinem zweiten Traum bin ich auf der Entbindungsstation und komme nieder. Mein Körper höhlt sich von innen aus, mein Herz schlägt tief in meinem Bauch. Ein plötzliches Pressen und das Baby ist blitzschnell da. »Es ist ein Mädchen«, sagt die Krankenschwester strahlend, und sie gibt mir das Neugeborene.
    Ich ziehe ihr die rosa Decke vom Gesicht und erstarre. »Das ist nicht Kate«, sage ich.
    Â»Natürlich nicht«, erwidert die Krankenschwester. »Aber sie ist trotzdem Ihr Kind.«
    Der Engel, der ins Krankenzimmer kommt, trägt Armani und bellt in ein Handy. »Verkaufen«, befiehlt meine Schwester. »Und wenn du einen Limostand in der Faneuil Hall aufmachen und die Anteile verramschen mußt, Peter. Ich hab gesagt, verkaufen .« Sie drückt einen Knopf und streckt mir die Arme entgegen. »He«, sagt Zanne tröstend, als ich in Tränen ausbreche. »Hast du wirklich gedacht, ich hör auf dich, nur weil du gesagt hast, ich soll nicht kommen?«
    Â»Aber –«
    Â»Fax. Telefon. Ich kann bei euch zu Hause arbeiten. Wer soll denn sonst auf Jesse aufpassen?«
    Brian und ich blicken einander an. So weit hatten wir noch gar nicht gedacht. Als Antwort steht Brian auf und umarmt Zanne linkisch. Jesse stürzt sich in ihre Arme. »Was habt ihr denn da für einen Jungen adoptiert, Sara … Jesse kann doch unmöglich schon so

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