Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
zulassen wollen, daß du abtreibst, ist so, als würdest du mit Kanonen auf Spatzen schießen. Spar dir dein Taschengeld und geh zu der Beratungsstelle. Die sind besser dazu geeignet, dir bei deinem Problem zu helfen.«
    Zum ersten Mal, seit ich mein Büro betreten habe, sehe ich sie richtig an. Wut umgibt sie wie ein elektrisches Kraftfeld. »Meine Schwester ist todkrank, und meine Mutter will, daß ich für sie eine Niere spende«, sagt sie aufgebracht. »Ich glaube kaum, daß das Problem mit einer Handvoll kostenloser Kondome gelöst werden kann.«
    Kennen Sie das auch, diesen Augenblick dann und wann, wenn sich das ganze Leben plötzlich vor einem erstreckt wie ein Weg, der sich gabelt, und obwohl man sich bereits für einen entschieden hat, schielt man die ganze Zeit zu dem anderen rüber, weil man sicher ist, einen Fehler gemacht zu haben? Kerri will mir den Zettel mit der Telefonnummer bringen, um die ich sie gebeten habe, aber ich schließe die Tür, ohne ihn entgegenzunehmen, und gehe zurück zu meinem Schreibtisch. »Niemand kann dich zwingen, eine Niere zu spenden, wenn du das nicht willst.«
    Â»Ach ja?« Sie beugt sich vor und zählt an den Fingern ab. »Ich war gerade geboren, da hab ich meiner Schwester Nabelschnurblut gespendet. Sie hat Leukämie – APL –, und meine Zellen haben sie in Remission gebracht. Bei ihrem nächsten Rückfall war ich fünf, und mir wurden Lymphozyten entnommen, dreimal, weil die Ärzte einfach nicht genug kriegten. Als das nicht mehr funktionierte, haben sie mir Knochenmark für eine Transplantation entnommen. Wenn Kate eine Infektion hatte, mußte ich Granulozyten spenden. Als sie wieder einen Rückfall hatte, brauchte sie von mir periphere Blutstammzellen.«
    Das medizinische Vokabular des Mädchens könnte so manchen meiner bezahlten Experten vor Neid erblassen lassen. Ich nehme einen Notizblock aus einer Schublade. »Dann hast du also schon öfter freiwillig für deine Schwester gespendet.«
    Sie zögert, schüttelt dann den Kopf. »Ich wurde nie gefragt.«
    Â»Hast du deinen Eltern gesagt, daß du keine Niere spenden möchtest?«
    Â»Sie hören sowieso nicht zu, wenn ich was sage.«
    Â»Vielleicht doch, wenn du sagst, daß du bei mir warst.«
    Sie senkt den Blick, und die Haare fallen ihr ins Gesicht. »Sie nehmen gar nicht richtig Notiz von mir, es sei denn, sie brauchen Blut von mir oder so. Ich wäre nicht mal auf der Welt, wenn Kate nicht krank wäre.«
    Ein Erbe und einer in Reserve, das war eine Sitte, die meine Vorfahren in England praktizierten. Es klang gefühllos, ein zweites Kind zu bekommen, nur für den Fall, daß das erste stirbt, aber es war einmal ausgesprochen praktisch. Auch wenn es dem Mädchen vor mir nicht gefällt, ein Ersatz zu sein, aber es werden tagtäglich Kinder aus nicht gerade honorigen Gründen gezeugt: um eine schlechte Ehe zu kitten, um den Familiennamen am Leben zu halten, um das Abbild eines Elternteils abzugeben.
    Â»Sie haben mich gekriegt, damit ich Kate rette«, erklärt das Mädchen. »Sie sind von einem Spezialisten zum anderen gegangen und haben schließlich den Embryo ausgesucht, der genetisch perfekt zu Kate passen würde.«
    Im Studium wurden Ethikseminare angeboten, aber die galten entweder als Lachnummer oder als Widerspruch in sich, und ich habe sie mir meistens geschenkt. Doch jeder, der regelmäßig CNN guckt, weiß über die Kontroversen der Stammzellenforschung Bescheid. Ersatzteilbabys, Designerbabys, die Wissenschaft von morgen, um die Kinder von heute zu retten.
    Ich klopfe mit dem Stift auf den Schreibtisch, und Judge – mein Hund – kommt näher. »Was passiert, wenn du deiner Schwester keine Niere spendest?«
    Â»Dann stirbt sie.«
    Â»Und das nimmst du in Kauf?«
    Annas Mund bildet eine dünne Linie. »Ich bin doch hier, oder?«
    Â»Ja, schon. Mich würde bloß interessieren, warum du dich gerade jetzt wehren möchtest, nach der ganzen Zeit.«
    Sie blickt auf die Bücherregale. »Weil es nie aufhört«, sagt sie schlicht.
    Plötzlich scheint ihr etwas einzufallen. Sie greift in ihre Tasche und legt eine Handvoll zerknüllte Geldscheine und Münzen auf meinen Schreibtisch. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich kann Sie bezahlen. Das sind 136,87 Dollar. Ich weiß, das reicht nicht, aber irgendwie

Weitere Kostenlose Bücher