Beim Leben meiner Schwester
stutzen. Daran hatte ich wirklich nicht gedacht. Aber ein Mädchen, das seine Eltern verklagt, wird sich unter ein und demselben Dach mit ihnen nicht sonderlich wohl fühlen, sobald die Klageschrift offiziell überstellt wurde.
Plötzlich ist Judge an meiner Seite und stupst mit der Nase gegen meinen Oberschenkel. Ich schüttele genervt den Kopf. Tolles Timing. »Ich brauche fünfzehn Minuten«, sage ich zu Kerri. »Ich ruf Sie dann.«
»Campbell«, sagt Kerri mit Nachdruck, »Sie können von einem Kind nicht erwarten, daà es allein zurechtkommt.«
Ich gehe zurück in mein Büro. Judge folgt mir und bleibt direkt hinter der Tür stehen. »Das ist nicht mein Problem«, sage ich. Dann mache ich die Tür zu, schlieÃe ab und warte.
SARA
1990 Der Bluterguà hat die GröÃe und Form eines vierblättrigen Kleeblatts und befindet sich genau in der Mitte zwischen Kates Schulterblättern. Jesse entdeckt ihn, während beide in der Badewanne sind. »Mommy«, fragt er, »heiÃt das, sie hat Glück?«
Ich versuche zunächst, ihn wegzureiben, weil ich ihn für Schmutz halte, ohne Erfolg. Kate, zwei Jahre alt, blickt, während ich die Stelle untersuche, mit ihren kobaltblauen Augen zu mir hoch. »Tut das weh?« frage ich, und sie schüttelt den Kopf.
Irgendwo in der Diele hinter mir erzählt mir Brian von seinem Tag. Er riecht schwach nach Rauch. »Der Typ kauft eine Kiste teurer Zigarren«, sagt er, »und läÃt sie für 15 000 Dollar gegen Feuer versichern. Und auf einmal verlangt er von der Versicherung sein Geld, weil alle Zigarren in einer Reihe von kleinen Bränden vernichtet wurden.«
»Er hat sie geraucht ?« sage ich, während ich Jesse den Schaum aus den Haaren spüle.
Brian lehnt sich gegen den Türrahmen. »Genau. Aber das Gericht hat befunden, die Versicherung habe die Zigarren ja schlieÃlich feuerversichert, ohne zu definieren, welche Art von Feuer denn gemeint sei.«
»He, Kate, tut es jetzt weh?« fragt Jesse und drückt mit dem Daumen fest auf den Bluterguà an der Wirbelsäule.
Kate heult auf, macht eine ruckartige Bewegung und spritzt mich mit Badewasser voll. Ich hebe sie aus der Wanne und reiche sie an Brian weiter. Wenn die beiden ihre hellen Blondköpfe zusammenstecken, gleichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Jesse kommt mehr auf mich â mager, dunkel, Denkernatur. Brian sagt, daran erkennen wir, daà unsere Familie vollständig ist: Wir haben beide unseren Klon. »Raus mit dir aus der Wanne«, sage ich zu Jesse.
Er steht auf, ein kleiner Sturzbach mit einem Vierjährigen in der Mitte, und schafft es auszurutschen, als er über den Wannenrand steigen will. Er schlägt hart mit dem Knie auf und bricht in Tränen aus.
Ich wickele ein Badetuch um Jesse und tröste ihn, während ich das Gespräch mit meinem Mann fortsetze. Wir unterhalten uns in der typischen Ehesprache, einem Morsekode, unterbrochen durch Wannenbäder und Abendessen und Gutenachtgeschichten. »Und wer hat dich als Zeugen vorgeladen?« frage ich Brian. »Der Beklagte?«
»Die Anklagevertretung. Die Versicherung hat die Entschädigung ausbezahlt und ihn dann wegen Brandstiftung in vierundzwanzig Fällen einbuchten lassen. Ich war der sachverständige Zeuge.«
Brian ist bei der Berufsfeuerwehr, er kann in einem verkohlten Gebäude genau die Stelle finden, wo das Feuer ausgebrochen ist: ein angekokelter Zigarettenstummel, ein freiliegender Draht. Jede Feuersbrunst fängt mit einem Funken an, man muà nur wissen, wonach man sucht.
»Das Gericht hat das Verfahren eingestellt, richtig?«
»Das Gericht hat ihn in jedem der vierundzwanzig Fälle zu einem Jahr Gefängnis verurteilt«, sagt Brian. Er stellt Kate auf den FuÃboden und zieht ihr den Pyjama über den Kopf.
In meinem früheren Leben war ich Zivilanwältin. Ich habe wirklich mal geglaubt, das wäre mein Lebensinhalt â aber das war, bevor mir ein kleiner Steppke eine Handvoll zerdrückter Veilchen überreichte. Bevor ich erkannte, daà das Lächeln eines Kindes eine Tätowierung ist: unauslöschliche Kunst.
Meine Schwester Suzanne treibt das in den Wahnsinn. Sie ist ein Finanzgenie und hat bewiesen, daà auch Frauen in der Bank of Boston Karriere machen können. Ihrer Meinung nach bin ich eine Verschwendung von intellektuellem Potential. Aber ich
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