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Being

Titel: Being Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mir die Tanzaufführung auf dem Kirchplatz an. Danach hörte ich eine Weile bei einer Band zu, die Flamenco-Musik spielte, aber so richtig begeistern konnte ich mich nicht. Ich machte mir Sorgen um Eddi. Sie wirkte so müde … und sie war am Nachmittag ungewöhnlich still gewesen. Also ging ich, wie schon am Abend zuvor, wieder ins El Corazón und blieb dort bis zum Ende.

    Am Sonntag schien es Eddi viel besser zu gehen. Sie war zwar noch immer ein bisschen stiller als sonst, doch sie wirkte nicht mehr so geschafft. Sie musste an diesem Abend auch nicht vor acht Uhr im Restaurant sein, also hatten wir den ganzen Tag für uns. Es war ein wunderschöner Tag – ein Bilderbuchsonntag mit herrlich blauem Himmel – und wir genossen die Zeit zusammen. Morgens ein stiller Spaziergang am Strand, am Nachmittag ein Nickerchen und am frühen Abend gingen wir in die Kirche, um beim Blumenopfer für La Virgen de las Maravillas dabei zu sein. Jorge hatte mir zwar erklärt, dass die Jungfrau die Schutzheilige des Dorfes sei – die Jungfrau der Wunder oder Unsere Heilige Frau der Wunder –, aber ich verstand immer noch nicht richtig, worum es eigentlich ging, deshalb hatte ich auch keine Ahnung, wieso ihr Blumen geopfert wurden. Eddi wusste es auch nicht. |330| Doch es war auch nicht wirklich wichtig. Es machte einfach Spaß, dem Ganzen zuzuschauen. Die vielen Farben, vielen Blumen, vielen Lichter. Und als wir die Kirche wieder verließen und zurück nach Hause gingen, erstreckte sich ein großartiger roter Sonnenuntergang über den ganzen Himmel. Es war ein schöner Abschluss für einen schönen Tag.
    »Morgen ist der letzte Tag«, sagte Eddi, als wir zu unserer Wohnung aufbrachen. »Noch ein Abend, dann ist es geschafft.«
    »Bis nächstes Jahr.«
    »Ja …«
    »Glaubst du, dann sind wir noch hier?«
    »Keine Ahnung … vielleicht.« Eine Weile ging sie schweigend weiter, aber ich spürte, dass sie über etwas nachdachte. Ich sagte nichts und wartete ab. Schließlich sah sie mich an und meinte: »Würde es dir was ausmachen, wenn wir nächstes Jahr noch hier wären?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es würde mir nichts ausmachen. Mir gefällt’s hier.«
    Sie lächelte. »Mir auch. Ich glaube, ich könnte …«
    »Was?«, fragte ich, als sich ihre Stimme verlor. »Du glaubst, du könntest was?«
    »Nichts«, sagte sie zögernd. »Ich hab nur gemeint … du weißt schon, ich könnte hier leben … mit dir. Ich meine, ich finde, wir könnten hier leben. Mehr habe ich nicht gemeint.«
    Ich sah sie an. Sie wirkte ein bisschen verlegen, als hätte sie etwas gesagt, das sie nicht vorhatte zu sagen. Doch es war keine peinliche Verlegenheit. Eddi hatte etwas Strahlendes – ihre blauen Augen glühten, ihre blasse Haut leuchtete im Licht der Abendsonne. Sie war alles Schöne.
    |331| »Morgen um neun bin ich fertig«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    Sie lächelte mich an. »Alle gehen zur Prozession, deshalb schließt das Restaurant früh. Um neun bin ich fertig. Du kannst mich ja abholen, dann schauen wir uns die Prozession zusammen an.«

    Irgendetwas passierte in diesem Moment mit mir. Als ich Eddi ansah und zu sprechen versuchte, passierte etwas … eine Aufwallung, irgendwo in mir. Ich wusste nicht, was es war. Es schien, als ob alle meine Gefühle – was immer sie sein mochten – plötzlich außer Kontrolle gerieten. Die schlimmste Panik, die größte Freude, die tiefste Traurigkeit, der wildeste Hass … alles, was jemals gewesen war. Alles war da, alles in einem einzigen Moment. Und obwohl ich es jetzt spürte, wusste ich irgendwie, dass es aus einer anderen Zeit herrührte, einer Zeit, in der alles zusammenkommen würde – Vergangenheit, Zukunft … Anfang, Ende. Alles, was je sein würde.
    Alles war da.
    Ich fühlte es kommen.
    Und ich konnte nichts dagegen tun.

|332| Sechsundzwanzig
    A ls ich am Montagabend um neun Uhr zum El Corazón kam, hatte Eddi ihre Kellnerinnenkleidung schon ausgezogen und wartete auf mich auf der Terrasse draußen vor dem Restaurant. Sie trug das weiße Baumwollkleid, das sie auch angehabt hatte, als wir in Spanien ankamen, und es stand ihr jetzt sogar noch besser als damals, vor vielen Monaten. Es wirkte jetzt irgendwie anders. Und ich glaube, in gewisser Weise
war
es auch anders. Damals war es einfach ein Kleid gewesen. Doch jetzt … na ja, jetzt war es eben mehr als das. Es war Teil unseres Lebens. Teil unserer Geschichte. Es war ein Teil von
uns
.
    »Du siehst toll aus«, sagte ich zu

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