Being
beschreiben ist schwer und ich weiß nicht, wie viel davon mit unserer neu entdeckten körperlichen Nähe zu tun hatte, doch nach unserer ersten gemeinsamen Nacht schien es, als ob plötzlich eine unsichtbare Grenze fortgeräumt worden wäre, die uns bis dahin auseinandergehalten hatte. Jetzt waren wir uns
nah
– was immer das heißt. Wir waren zusammen.
|320| Ich hatte das noch nie mit jemand anderem erlebt. Und genau wie alles andere war es ein seltsames Gefühl – sich jemand anderem so nah zu fühlen, fast eins zu sein mit demjenigen und doch man selbst. Noch immer seine Geheimnisse und seine Lügen zu haben und alles, was man nicht sagen kann … jede Sekunde eines jeden Tags mit der Frage zu leben, was wäre, wenn die einzige andere Person auf der Welt in dich hineinschauen könnte und sähe, was du wirklich bist …
Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Eddi hatte nicht ihr ganzes Geld nach Granada mitgenommen, deshalb waren wir noch nicht völlig blank. Aber die paar Hundert Euro, die sie dagelassen hatte, reichten nicht lange und Anfang März hatten wir dann beide einen Job. Ich hatte schon ein paar Wochen nach Weihnachten für Jorge Alvarez zu arbeiten begonnen. Ich hatte noch nie zuvor gejobbt und brauchte eine Weile, mich dran zu gewöhnen, doch nach den ersten paar Wochen war mir, als hätte ich schon immer gearbeitet. Ich stand frühmorgens auf, fuhr mit Eddis Motorrad hoch in die Berge und werkelte den Tag über mit ein paar andern aus dem Ort an irgendeinem alten Bauernhaus herum – Wände einreißen, streichen, fliesen, manchmal ein paar Mörtelarbeiten. Gegen zwei oder drei Uhr hörten wir auf und ich setzte mich wieder aufs Motorrad und fuhr zurück. Der Job brachte zwar nicht viel Geld, aber man bekam es bar auf die Hand und es reichte in etwa zum Leben.
Eine Weile war es ziemlich hart, damit zurechtzukommen – von der Hand in den Mund zu leben, auf jeden Euro zu schauen, den wir ausgaben – und es wurde erst einfacher, als auch Eddi einen Job annahm, als Kellnerin im El Corazón. Ich wusste, das |321| passte ihr nicht. Sie hasste es, so eine Kluft zu tragen, sie hasste es, die ganze Zeit
nett
zu sein, und sie hasste die endlosen Arbeitszeiten – fünf Tage die Woche mittags von elf bis zwei und abends von sieben bis eins.
Doch sie klagte nicht.
Ihre freien Tage waren mittwochs und sonntags, meine waren samstags und sonntags, also verbrachten wir längst nicht mehr so viel Zeit miteinander wie vorher. Doch wir konnten noch immer die faulen Nachmittage miteinander genießen und außerdem gab es ja die langen heißen Nächte …
Und das war mehr als genug für mich.
Es war Leben.
Wir gewöhnten uns sogar an, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen, was für mich äußerst sonderbar war, denn ich war noch nie in einer Kirche gewesen. Irgendwie war das Ganze äußerst sonderbar. Es begann an einem strahlenden Sonntagmorgen im Mai, als Eddi plötzlich entschied, wir sollten zur Messe gehen. Wir lagen noch im Bett und am Abend vorher waren wir lange auf gewesen, deshalb fühlte ich mich noch müde und verschlafen.
»Robert?«, sagte sie. »Hast du mich gehört?«
»Wie?«
»Ich will in die Messe gehen.«
»Du willst was?«
»In die Messe gehen … du weißt, Messe … Kirche …«
»Wovon redest du?«
»Kirche, Robert … ich rede davon, in die Kirche zu gehen. Ich bin katholisch. Als Kind bin ich immer zur Kirche gegangen.«
|322| »Ja, gut«, sagte ich zu ihr, »aber du bist doch kein Kind mehr, oder?«
Sie boxte mir gegen den Arm. »Los, komm schon, steh auf. Ich will in die Kirche.«
»Okay«, sagte ich und drehte mich um. »Dann viel Spaß. Bis später.«
Ohne ein weiteres Wort stand sie auf, riss mir die Bettdecke weg und wartete, dass ich aufstand.
»Okay«, stöhnte ich, »okay.«
Sie zog ein schwarzes Kleid an, das einzige von ihren Kleidern, das ihre Knie bedeckte, und von mir verlangte sie, dass ich meinen Anzug trug.
»Es ist zu warm für einen Anzug«, beklagte ich mich.
»Du gehst in die Kirche«, sagte sie. »Da trägst du einen Anzug. Und vergiss nicht, dir die Haare zu kämmen.« Sie lächelte mich an und schüttelte sacht den Kopf. »Schau dich mal an …«
»Was denn? Was ist mit mir?«
Sie lachte leise. »Hast du dich in letzter Zeit mal richtig angeguckt?« Sie nickte in Richtung des großen Wandspiegels. »Schau dich an.«
Ich drehte mich um und blickte in den Spiegel. Zuerst verstand ich nicht, wovon sie sprach. Das Einzige, was ich sah, war
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