Beinssen, Jan
Kilian verkaufen.« Sie lächelte hintergründig. »Allerdings
zu einem abermals gestiegenen Preis – und ohne die Dokumente.«
Ans Schlafen war in dieser Nacht nicht zu denken. Dafür waren die beiden Freundinnen viel zu besessen davon, herauszufinden, was es mit den gefundenen Papieren auf sich hatte. Beide schlangen eine Fertigpizza aus dem Tiefkühlfach herunter, breiteten die mysteriösen Unterlagen auf dem Parkettfußboden von Gabrieles Wohnung aus und vertieften sich in deren Inhalt. Während Sina sich auf die Textpassagen der offensichtlich als vertraulich gehandelten Dokumente konzentrierte, war Gabriele sehr bald gefangen von den Zahlen: Riesige Summen in DDR-Währung, die selbst in Westmark umgerechnet gigantische Ausmaße annahmen. Es handelte sich um Aufstellungen von stabilen Reserven, hin und wieder fielen Schlagworte wie ›Feinunze‹ und ›Barren‹. Gabi war bald Feuer und Flamme, ihre Wangen färbten sich rosa.
Sinas Fokus lag dagegen auf der Ermittlung der Quelle dieser Informationen. Wer hatte die Akten zusammengestellt? Und welchen Zweck verfolgte er damit? Die meisten womöglich schlüssigen Zeilen waren geschwärzt oder auf andere Art unkenntlich gemacht worden. Fast alle Namen und Adressen ließen sich zu Sinas Verdruss ohne größeren Aufwand nicht mehr rekonstruieren. Sie hatte die Hoffnung fast aufgegeben, als sie am oberen rechten Rand eines der Blätter ein verschwommenes Adressenfeld fand.
Hier hatte der Ersteller der Kopien geschlampt. Sina hielt das Blatt Papier ganz dicht vor ihr Gesicht. Es gelang ihr, einen Namen zu lesen sowie den Teil einer Anschrift. Die Adresse war unvollständig, doch der Name allein reichte Sina, um Rückschlüsse zu ziehen. Es handelte sich um einen Nürnberger Namen – einen recht bekannten noch dazu. Sina lächelte mit einer gewissen Genugtuung.
7
Klaus hatte sich von Gabrieles Polemik nicht abschrecken lassen – und er brachte sogar frische, duftende Brötchen mit, als er am nächsten Morgen an die Ladentür des Antiquitätengeschäftes klopfte. Zwei angeschlagene Gestalten mit tiefen Augenringen öffneten ihm. »Na, alles paletti?«, fragte er gut gelaunt.
Gabi führte ihn ins Hinterzimmer, wo bereits die Kaffeemaschine gurgelte. Klaus schüttete das frische Gebäck in einen Brotkorb und stellte ihn auf den alten Tisch in der Mitte des Raums. »Für Butter und Marmelade seid ihr zuständig.«
»Pass mal auf, Klaus«, setzte Sina an und biss in ein Brötchen ohne Belag. »Wir sind auf eine große Sache gestoßen.«
»DDR-Unterlagen«, ergänzte Gabriele und nahm sich ebenfalls ein Brötchen, ohne sich um Butter oder Aufstrich zu kümmern. »In dem Sekretär steckten Buchhaltungsauszüge des sozialistischen Regimes.«
Klaus verzog das Gesicht. »So wie du das sagst, klingt es ziemlich abwertend. Ich weiß ja, dass du eine schwarze Seele hast und durch und durch CSU-Frau bist. Aber bring doch bitte ein bisschen Verständnis für Leute wie mich auf: Ich habe nie etwas gegen die DDR gehabt. Und wenn die PDS auch im Westen kandidieren würde, dann …«
»Das sagst ausgerechnet du?«, blaffte ihn Gabriele an. »Du mutierst doch nur zum Linken, weil es gerade in Mode ist. Aber es ist nicht wirklich deine Überzeugung.«
»Da liegst du falsch«, stellte Klaus klar. »Ich bin sogar aktiv und versuche, die sozialistischen Ideen im erzkonservativen Bayern zu vertreten …«
»Lasst doch diese Streiterei«, unterbrach Sina. »Es gibt wichtigere Dinge zu klären. Die Unterlagen, die in dem Sekretär verborgen waren, sind brisant. Wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen.« Sie sah abwechselnd Klaus und Gabriele an. »Ich habe die Quelle von Cornelia Probst ausfindig gemacht. Es handelt sich um Werner Engelhardt.«
Klaus’ Kinnlade klappte herunter. »Doch nicht etwa um den Engelhardt?«
Sina zwinkerte ihm zu: »Genau den. Den stadtbekannten Philatelisten aus der Königsstraße.«
»Was?«, fragte Gabriele, die von dieser Neuigkeit ebenfalls überrascht war. »Das Unikum aus dem Briefmarkenladen mitten in der Altstadt?«
»Richtig.« Sina deutete auf einen Teil der Kopien, der auf dem Tisch ausgebreitet war. »Es geht hier ja offenbar um eine groß angelegte Finanztransaktion aus Zeiten, in denen es zwei deutsche Staaten gab. Ich weiß zwar nicht, was harmlose Briefmarken mit riskanten Finanzdeals zu tun haben, aber Engelhardt hatte wohl einen triftigen Grund dafür, all diese Blätter zu fotokopieren.«
»Ja«, bestätigte Gabriele.
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