Beinssen, Jan
»Eine Lieferung ist nicht notwendig. Ich nehme das Möbelstück gleich mit.«
»Das geht nicht. Der Sekretär ist viel zu unhandlich für einen Pkw«, entgegnete Gabriele. »Er könnte bei unsachgemäßem Transport beschädigt werden.«
»Ich fahre einen Kombi«, erklärte Kilian, und es klang, als dulde er keinen weiteren Widerspruch.
Für bange Sekunden glaubte Sina, dass Gabriele nachgeben würde. Doch sie hielt das Tuch in die Höhe, mit dem sie bis vor Kurzem die Front poliert hatte. »Es müssen noch einige Kleinigkeiten nachgebessert werden. Sie wollen das Schmuckstück doch in einwandfreiem Zustand übernehmen.«
Kilian zog die Augenbrauen zusammen. »Mir wäre sehr daran gelegen, den Sekretär möglichst schnell zu bekommen.«
»Gar kein Problem«, versicherte Gabriele mit gekünsteltem Lächeln. »Ist 8 Uhr früh genug?«
Kilian hob zu einem Protest an, besann sich aber eines Besseren: »Also gut. Morgen, 8 Uhr.«
»Darf ich dann um die Lieferadresse bitten?«, fragte Gabriele höflich.
»Nicht nötig«, sagte Kilian im Gehen. »Wie gesagt: Mein Wagen ist groß genug. Ich hole den Sekretär selbst ab. Pünktlich um acht bin ich wieder da. Guten Abend.«
Sina hörte, wie die Reifen quietschten, als Kilian seinen Audi mit zu viel Gas aus der Parklücke trieb.
Zunächst schwiegen Sina und Gabriele. Doch sehr bald hatten sich die beiden in beste Streitlaune hinaufgeschaukelt, wodurch sie vergaßen, die Ladentür abzuschließen.
Ein weiterer Besucher, der leise hereinkam, wurde dadurch Augen-und Ohrenzeuge einer lautstarken Auseinandersetzung.
»Mich würde es nicht wundern, wenn er es sich über Nacht anders überlegt und morgen sein Geld zurückverlangt«, sagte Gabriele. »Warum – um alles in der Welt! – sollte ich Kilian die Ware nicht aushändigen?«
»Weil ich etwas beobachtet habe, an seinem Wagen.«
»Jedenfalls war dieser Wagen groß genug, um ein zierliches Möbelstück zu transportieren. Ich habe mich gerade zum Affen gemacht und möchte von dir einen triftigen Grund dafür hören.«
»Den bekommst du: Sein Wagen hat das Kennzeichen N-HA!«
Gabrieles Pupillen weiteten sich. Aber sie ließ sich nicht zu übereilten Rückschlüssen verleiten. »Na und? Auf diese Buchstabenkombination wirst du in Nürnberg schätzungsweise mindestens ein Dutzend Mal stoßen.«
»Denk an die Worte des Stadtstreichers: Ein großer dunkler Wagen – Kilian ist unter Umständen derselbe Mann, der Cornelia Probst besucht hat.«
»Große Autos gibt es wie Sand am Meer«, hielt Gabriele dagegen. »Sicher auch große Autos mit den
Buchstaben HA im Nummernschild. Du siehst ja Gespenster.«
Sina fühlte sich gekränkt. »Ich sehe nur, dass wir drauf und dran sind, uns abermals in eine unangenehme Situation zu manövrieren. Wenn ich eine Gefahr erkenne, will ich auch auf sie hinweisen dürfen.«
Gabriele schüttelte den Kopf. »Sei nicht kindisch. Von einer Gefahr kann keine Rede sein.« Und versöhnlicher: »Ist dir denn noch nicht der Gedanke gekommen, dass Kilian – wenn er denn tatsächlich der Freund von Cornelia Probst ist – ihr eine Überraschung bereiten möchte?«
Sina sah ungläubig auf: »Du meinst …«
»Ja! Ich meine, dass er den Sekretär unbedingt haben möchte, weil er sein Herzblatt damit überraschen will.«
»Ja, aber dann …« Sina kam sich mit einem Mal töricht vor.
Gabriele griff ihren Gedanken auf: »Dann hast du wirklich nur Gespenster gesehen und alles stellt sich als völlig harmlose Liebelei heraus.«
»Oder es handelt sich bei beiden Fahrzeugen um Dienstwagen aus einer Firmenflotte. Die haben oft die gleichen Buchstabenkombinationen.« Beide Frauen sahen sich um, als sich ihr heimlicher Besuch mit diesem Einwurf bemerkbar gemacht hatte.
»Klaus?« Sinas Gesichtsausdruck war mehr entsetzt als erschreckt. Klaus, ihr Exfreund, Gelegenheitsgeliebter und mitunter auch der meist gehasste
Mensch in ihrem Leben, war so plötzlich aufgetaucht, dass sie prompt einen Schluckauf bekam. Mit Klaus verband sie eine emotionsgeladene Zeit voller leidenschaftlicher Gefühle, aber auch Enttäuschung, Schmerz und missbrauchtem Vertrauen. Und, ja, bis vor Kurzem die Fürsorge für einen gemeinsam angeschafften Hund: Tom musste vor einem halben Jahr eingeschläfert werden, und mit seinem Tod drohten auch die letzten Bande zwischen Sina und Klaus zu zerreißen. – Dass er nun hier war, nahm Sina mit widersprüchlichen Gefühlen auf.
»Firmenwagen?« Gabriele fasste sich als Erste. Sie
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