Beinssen, Jan
alles schon gegeben.«
»Lächerlich«, kommentierte Klaus, folgte den beiden Frauen aber zurück in den Verkaufsraum.
Der Sekretär stand unverrückt an der Stelle, an der sie ihn zurückgelassen hatten. Schmal, elegant, mit der Patina eines jahrhundertealten Gebrauchsgegenstandes. Gabriele umrundete ihn mehrfach, betrachtete ihn von allen Seiten. Sie ging in die Knie und begutachtete den Boden. Mit beiden Händen fuhr sie tastend die Seiten, die Front und schließlich die Rückwand ab. Sie öffnete die kleinen Schub
laden, die zur Unterbringung von Federkielen und Pergamenten gedient hatten. Sie klappte die lederbeschichtete Schreibunterlade aus und wieder ein. Sie klopfte das edel verzierte Holz des bogenförmigen Frontabschlusses ab. – Ohne Resultat.
»Sag ich doch«, triumphierte Klaus. Da ihn beide Frauen mit weiteren bösen Blicken traktierten, sagte er schnell: »Ich muss jetzt eh los.« Er verzog sich eilig. »Bis bald, Mädels.«
»Lass dir ruhig Zeit mit deinem nächsten Besuch!«, rief Gabriele ihm nach.
»Das hättest du dir sparen können«, schalt Sina sie.
»Wenn es doch wahr ist«, gab Gabi zurück. »Er ist und bleibt ein …«
»Na?«
»Ach – schon gut.«
Vom Frust erfüllt, ließ sich Gabriele dazu verleiten, gegen das zierliche Bein des Sekretärs zu treten. Dieser begann bedrohlich zu schwanken. Sofort stützte Sina ihn mit beiden Armen. Durch die plötzliche abrupte Bewegungsänderung fuhr eine der schmalen Schubladen auf. Ehe Gabriele sie halten konnte, rutschte sie aus den schmalen hölzernen Führungsschienen und polterte zu Boden.
»Mist!«, fluchte Gabi. Sie hob die Schublade auf und nahm sie prüfend in Augenschein. »Hoffentlich ist nichts abgesplittert.«
Sina hatte sich genauso erschreckt wie Gabi. Im nächsten Moment jedoch erregte etwas anderes ihre
Aufmerksamkeit. In dem Hohlraum, den die Schublade hinterlassen hatte, war etwas verborgen. Ein sorgsam verschnürtes Bündel Papier. Sina streckte ihre Hände danach aus und hielt es ins Licht der Deckenlampen.
Gabriele legte die Schublade beiseite und starrte jetzt ebenfalls auf den Fund: Es handelte sich um einen ausgebeulten braunen Umschlag im Format DIN-A4, der an den Ecken bereits angestoßen und mehrmals mit einem Bindfaden umwickelt war. »Mach ihn auf«, befahl sie.
Sina zögerte kurz. Dann löste sie die Schnur und fuhr mit ihrem Zeigefinger durch den Falz des Kuverts. Sie schüttete den Inhalt auf die Schreibunterlage des Sekretärs. Zum Vorschein kamen Kopien von behördlichen Dokumenten. Eng beschriebene Seiten, Zahlenkolonnen und Tabellen. Der Inhalt war auf die Schnelle nicht zu ergründen. Eines aber hatten alle Dokumente gemeinsam.
»Siehst du diese Stempel?«, fragte Sina.
»Ich bin ja nicht blind.«
»Das sind – Hammer und Sichel«, stellte Sina ungläubig fest. »Die stammen wohl aus der Ex-DDR.«
»Und der Vermerk ›Geheim‹ lässt darauf schließen, dass es Akten von der Stasi sind.« Gabriele sah Sina ernst an. »Das gefällt mir gar nicht. Wie kommen die Unterlagen in meinen Schrank?«
»Vielleicht waren sie schon drin, als du ihn eingekauft hast«, mutmaßte Sina.
»Unsinn. Der Sekretär stammt aus einem Nürnberger Nachlass. Die Papiere muss jemand dort nachträglich hineingestopft haben.«
Sina sah sich den Umschlag noch einmal genauer an. Er war stark zerknickt. »Auf jeden Fall wurde er mit Gewalt unter die Schublade geschoben. Wahrscheinlich war derjenige in Eile.« Sie dachte nach. »Sag mal, Gabi, hast du nicht erzählt, dass du Cornelia Probst eine Weile mit dem Sekretär allein gelassen hattest?«
»Ja, weil sie sich so lange nicht entscheiden konnte, wollte ich ihr die Gelegenheit geben …« Nun zog auch sie dieselben Rückschlüsse. »Du spielst darauf an, dass es die Probst gewesen sein könnte?« Gabriele riss die Augen auf. »Aber weshalb? Warum ausgerechnet bei mir? – Und weiß Kilian von diesen Dokumenten?«
Sina kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Ich kann mir nur eine Erklärung dafür vorstellen: Cornelia Probst wollte die Unterlagen aus irgendeinem wichtigen Grund verstecken, um sie später zurückzuholen. Deswegen die Reservierung des Sekretärs. Sie wollte verhindern, dass du ihn mitsamt der Dokumente in der Zwischenzeit verkaufst.«
»Gabriele nahm einen der Bögen zur Hand. »Lauter wirres Zeug. Zahlen, Buchungsnummern. Was soll das alles bedeuten?« Dann straffte sie die Schultern. »Jedenfalls werde ich den Sekretär wie geplant morgen früh an Rainer
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