Beinssen, Jan
die Schultern der Freundin zu legen. Sie konnte sich denken, was in Sinas Kopf vor sich ging, und es ging ihr ähnlich: Der Tod der Journalistin beunruhigte sie. Er bedeutete zwangsläufig Ärger, Probleme – Gefahr. Sina wollte ganz sicher nicht noch einmal in Bedrängnis geraten, wie damals in Peenemünde. Auch Gabriele hatte absolut nicht das Bedürfnis nach Schwierigkeiten dieser Art.
Genau in diesem Augenblick erspähte sie jemanden, der ihrem Instinkt nach geeignet für ihre Fragen war: Ein junger Mann, schlank, sportlich, mit dunklem Haar und verschmitzten Gesicht, verließ gemeinsam mit einigen Reportern das Haus. Er trug eine Kamera bei sich, war also wahrscheinlich Pressefotograf. Ein freundlicher, vielleicht eine Spur nai
ver Ausdruck in seinem Blick verleitete Gabriele zu der Annahme, dass er in seinen jungen Jahren noch nicht ganz so abgefeimt und hart war wie seine Kollegen. Sie stupste Sina an und deutete dezent auf den Mann.
»Den?«, erkundigte sich Sina. »Warum willst du ausgerechnet einen Fotoreporter ausfragen? Ist nicht gerade unverdächtig.« Unbewusst spürte aber auch sie, dass Gabi die richtige Wahl getroffen hatte. Der Mann wirkte auf eine gewisse Art vertrauenserweckend.
Sie gingen näher an die Menschenmenge heran und richteten es so ein, dass sich ihr Weg mit dem des Fotografen kreuzte. Als sie nur noch einen Schritt von ihm entfernt waren, täuschte Gabriele vor zu stolpern und stützte sich am Arm des Mannes ab.
»Hoppla«, sagte er überrascht, lächelte die Frauen dabei jedoch freundlich an. Sina fielen sofort seine gutmütigen braunen Augen auf.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Gabriele, um dann gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. »Was ist denn da drinnen passiert? Ein Mord?«
Der Mann lächelte noch immer. »Mord? Das habe ich auch gehofft.« Er biss sich auf die Zunge. »Sorry, ich meine: Das habe ich erwartet. Eine Kollegin ist tot aufgefunden worden.«
»Und – äh, wie ist sie gestorben?«, hakte Sina nach. »Wohl ein Unfall?«
»Nicht einmal das«, gab der Fotograf enttäuscht von sich. »Zunächst sah alles sehr verdächtig aus. Die
Polizei hat das volle Programm abgespult und sogar die Presse informiert. Sonst wäre ich ja nicht hier. Es herrscht ein ziemliches Durcheinander in dem Haus. Sieht verdammt nach Einbruch aus. Und die Tote lag im Treppenhaus, als hätte sie jemand überrascht und getötet. Vielleicht erschlagen.«
»Aber so war es dann doch nicht?«, fragte Gabriele.
Der Fotograf schüttelte den Kopf. »Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es sich wahrscheinlich um Herzversagen handelt.«
»Sie war aber doch noch recht jung«, warf Sina ein.
»In einem stressigen Beruf wie dem Journalismus kann es einen früh erwischen«, belehrte sie der Fotograf.
»Und die Unordnung? Die Einbruchsspuren? Wie erklären Sie die?«, fragte Gabriele.
»Na ja.« Der Mann rieb sich am Kinn. »Vertreter unserer Zunft gelten als ziemlich chaotisch. Die Kollegin Probst hat wohl nicht besonders viel von einem geordneten Haushalt gehalten.« Er nickte Gabi zu und wollte weitergehen, doch Gabriele hatte eine weitere Frage.
»Halten Sie mich bitte nicht für unverschämt: Aber wäre es möglich, mal einen Blick auf Ihre Fotos zu werfen, nachdem Sie sie entwickelt haben?«
Der Fotograf sah sie erstaunt an. »Das halte ich für keine gute Idee. Cornelia ist gestürzt, nachdem ihr Herz ausgesetzt hatte. Sie schlug mit dem Kopf
auf das Treppengeländer – die Aufnahmen vom Ort des Geschehens sind recht blutig.«
»Wir sind einiges gewohnt«, ermunterte ihn Gabriele.
Der Fotograf sah sich unsicher um. »Eigentlich ist es nicht üblich, Zeitungsfotos herumzureichen, noch ehe sie gedruckt sind. Und da es wohl ein natürlicher Tod war, kommen die Bilder wahrscheinlich sowieso nicht ins Blatt.«
»Dann ist doch erst recht nichts Verwerfliches dabei, wenn Sie uns einen kurzen Blick riskieren lassent«, argumentierte Gabriele. »Denn wie Sie selbst sagten: Es war ein natürlicher Tod. Wir pfuschen also in keinen Kriminalfall hinein.«
»Trotzdem«, sagte der Mann bestimmt. »Ich darf und will es nicht. Das wäre ganz sicher nicht im Interesse der verstorbenen Kollegin.«
Gabriele musste zähneknirschend aufgeben. Nicht aber, ohne sich ein Hintertürchen offen zu halten: »Nur für den Fall, dass Sie es sich anders überlegen: Verraten Sie uns Ihren Namen, damit wir Sie vielleicht noch einmal kontaktieren können?«
Der junge Mann zögerte und ließ sich Zeit mit
Weitere Kostenlose Bücher