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Beinssen, Jan

Titel: Beinssen, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goldfrauen
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konnte.
    »Tag«, sagte sie, als sie die Rezeption erreichte. Sina lächelte so unbedarft, wie sie es mehr schlecht als recht hinkriegen konnte.
    »Guten Tag«, begrüßte die Empfangsdame sie mit zuvorkommendem Nicken. »Schön, dass Sie es sich so schnell überlegt haben. Welchen Kursus möchten Sie denn bei uns belegen?«
    Sina war etwas überrascht. »Ach, Sie erinnern sich an mich?«
    »Ich habe ein gutes Personengedächtnis«, sagte die Frau mit falscher Bescheidenheit. »Gehört dazu in meiner Position.«
    Sina schrieb sich für einen Fortbildungskurs mit dem Titel ›Bankett – die Tradition wahren und Innovation wagen‹ ein, den sie sich nach dem Zufallsprinzip aus dem recht großen Angebot an Tagungen und Seminaren herausgesucht hatte. Der Bankett-Kursus war auf drei Tage angelegt und hatte den großen Vorteil, dass er bereits morgen beginnen sollte. Sina hatte den letzten freien Platz erwischt. Aber es
    gab auch einen Nachteil, der vor allem Sponsorin Gabi ganz und gar nicht gefallen würde: die Teilnahmegebühr in Höhe von 585 Mark. Netto.
    Nachdem sie die Formalitäten erledigt und den Anmeldebogen bei der Empfangsdame abgegeben hatte, erkundigte sie sich nach den Toiletten. Denn warum sollte sie bis morgen warten und damit kostbare Zeit verstreichen lassen, wenn sie schon heute einen ersten flüchtigen Blick hinter die allzu seriöse Fassade der NHA werfen konnte?
    »Die Treppe hinunter und dann gleich auf der rechten Seite«, beschrieb ihr die Rezeptionistin den Weg.
    Sina durchmaß ohne allzu große Eile das Foyer und benutzte die mit geräuschdämmenden Teppich ausgelegten Treppenstufen ins Untergeschoss. Dort fand sie sich in einem schummrig beleuchteten Gang wieder. Die Türen zum Herren-und Damenklo waren gleich am Anfang des Flurs, unmittelbar neben dem Zugang zu einem stillgelegten Lastenaufzug. Aber Sina interessierte sich vielmehr für die Türschildchen neben den anderen Zugängen. Insgesamt sechs Türen wies der Flur auf. Sina fand – abgesehen von den WCs – anhand der Türschilder die ›Bekleidungskammer‹, das ›Stuhllager‹, ein nicht näher beschriebenes ›Archiv‹ und einen Raum, dessen Funktion anonym blieb. Die Tür verfügte über keine Klinke. Als Sina versuchte, am Knauf zu drehen, tat sich gar nichts. Der Raum war verschlossen, aber etwas anderes hatte Sina auch nicht erwartet. Ihr
    Forschungsdrang indes war geweckt – Türen, die sich nicht öffnen ließen, und die in einen unbekannten Bereich führten, hatten sie schon immer gereizt.
    Doch ihr detektivischer Eifer musste warten, denn etwas ausrichten konnte Sina auf die Schnelle natürlich nicht. Sie ging langsam zurück und hatte in Gedanken bereits die Akademie verlassen, da bemerkte sie im Vorbeischlendern an der Wand einen kaum beleuchteten Plan. Es war eine einfache Übersicht, ein skizzenhafter Grundriss – der feuerpolizeilich vorgeschriebene Fluchtplan. Sina erkannte den Gang, in dem sie sich gerade aufhielt. Sie bestimmte ihre gegenwärtige Position, presste ihren Zeigefinger darauf und führte ihn zu den einzelnen Räumen, deren Türen sie in den letzten Minuten passiert hatte. Jeder Raum war mit seiner entsprechenden Aufgabe beschrieben. Am Ende des Ganges war der Raum eingezeichnet, dessen Funktion ihr mangels Schildchen nicht bekannt geworden war. Die Ersteller des Fluchtplans hingegen – wahrscheinlich penible Bürokraten – waren weniger dezent als die Direktion und führten die Raumbezeichnung genauso auf wie diejenigen aller anderen Zimmer, Flure und Aufgänge.
    Sina pfiff durch die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen, als sie das kurze Wort mit sechs Buchstaben las.

    21

    Über die 585 Mark war Gabriele tatsächlich nicht begeistert. Ihre Gesichtszüge entglitten für einen kurzen Moment, aber sie fing sich schnell und blieb sogar bei ihrer Ankündigung, heute Abend die Zeche erneut zu zahlen: Gabriele hatte in ihrer selbst ernannten Rolle als ›Lenkerin der Schlacht‹ alle Beteiligten des verheißungsvollen Goldrauschs zum Essen eingeladen.
    Dass sie dafür ausgerechnet das ›La Mamma‹ im Marientorzwinger ausgewählt hatte, hatte Sina zunächst ziemlich verwundert, denn das beliebte italienische Restaurant war jeden Abend gerammelt voll. Die Tische in dem kleinen Lokal standen dicht an dicht und waren nur durch dünne hölzerne Raumteiler voneinander getrennt. Doch nun, als sie zusammensaßen und auf ihr Essen warteten, wurde Sina klar, dass Gabriele keinen besseren Ort

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