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Beinssen, Jan

Titel: Beinssen, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goldfrauen
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versuchte sie ihn augenblicklich zu relativieren, denn Inge war ihr Jahrgang. Mochte Inge den gleichen Eindruck auch von ihr haben?
    »Was für ein seltener Besuch!«, begrüßte die korpulente Frau mit kastanienbraunem Pagenschnitt sie mit warmem Händedruck. Gabriele ließ sich von Inge Scholz gern zu einem Tee einladen und brachte nach einigem belanglosen Vorgeplänkel ihr Interesse an der NHA zum Ausdruck.
    »Die NHA, die Akademie, soso …« Inge Scholz begann sogleich, emsig in ihren Akten zu blättern. »Da haben wir etliches. Die sind sehr aktiv. Ein renommierter Betrieb. Haben einen exzellenten Ruf in der Branche. Sozusagen ein Aushängeschild.«
    »Fein«, kürzte Gabriele die Lobhudeleien ab. »Hast du etwas über die Eigentümerverhältnisse, die Struktur und den Aufbau des Unternehmens?«
    Wieder blätterte Inge. »Das ist komplex. Die NHA ist eine GmbH & Co KG, aber es steckt auch eine Stiftung mit drin.« Sie blätterte und blätterte. »Der Geschäftsführer heißt …«
    »Ja?« Gabriele horchte auf.
    »… er heißt Oliver Kern.«
    »Sagt mir nichts«, meinte Gabriele etwas enttäuscht.
    »Ja, er ist auch nur der Geschäftsführer Deutschland«, schränkte Inge ein.
    »Wieso ›nur‹? Und weshalb Deutschland? Ist die Akademie etwa auch international aktiv?«, wollte Gabi wissen.
    »Ja, ja«, sagte Inge vergeistigt und vertiefte sich wieder in ihre Unterlagen. »Die NHA ist lediglich eine Tochtergesellschaft. Die Mutter sitzt in den Staa
    ten. Ein US-Konsortium. Die Struktur ist recht verworren, aber das ist nichts Ungewöhnliches für ein aufstrebendes Dienstleistungsunternehmen.«
    »Die Muttergesellschaft ist also in den USA ansässig?«, fragte Gabriele, die sich keinen Reim auf diese Information machen konnte. Hatte sie bis eben noch geglaubt, es mit einer Gruppe von Personen in einem überschaubaren Raum zu tun zu haben, wurde die Angelegenheit mit einem Mal zu einer internationalen Affäre. Sie suchte nach weiteren Möglichkeiten, den Hebel anzusetzen, doch ihr fiel nichts Besseres ein, als zu fragen: »Du bist sicher, dass mit dieser Firma alles sauber läuft? Dass sie nicht bloß eine Fassade für ganz andere Geschäfte ist?«
    Inge Scholz schmunzelte. »Nein, nein. Die NHA ist ein sauberes Unternehmen mit tadellosem Ruf und eine eifrige Gewerbesteuerzahlerin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei der Akademie etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.« Sie grübelte noch eine Weile über den Unterlagen, schob den Aktenordner dann jedoch mit beherztem Schwung beiseite. Sie nahm einen Schluck Tee und lächelte breit. »Aber nun erzähl mal, Gabi: Wie geht es dir? Was macht dein Geschäft? Und gibt es endlich einen Mann in deinem Leben?«

    20

    Sina näherte sich ihrem aufgezwungenen Observationsziel wie eine Raubkatze ihrer Beute: Sie strich in einem weiten Bogen um das ehemalige Hotel, die heutige NHA-Zentrale, hielt die Augen offen und machte sich ihre Gedanken. Während sie die mintgrüne Front mit dem vorgelagerten Gastraumrondell und dem auf schlanken Stützen ruhenden Panoramabalkon mit Geländer im 50er-Jahre-Schick begutachtete, kam ihr der Gedanke, dass die Akademie von außen betrachtet einen unscheinbaren und dadurch auch harmlosen Eindruck hinterließ. Das Gebäude war gut in Schuss und wirkte sehr gepflegt, aber es entstammte einer längst vergangenen Zeit und verbreitete dadurch einen Hauch von Nostalgie. Sina ging an den hohen, konvexen Scheiben des Restaurants vorbei, in dem gerade eine in Alter und Geschlecht sehr gemischte Gruppe einem Vortragenden lauschte, der seine Ausführungen mit Grafiken am Overheadprojektor verdeutlichte. Sina ließ einen kleinen Teich, stilecht eingefasst in einem mit Mosaiksteinchen verzierten Beckenrand, links liegen und ging auf die Eingangstür am Treppenhaus zu.
    Sie wog nicht zum ersten Mal an diesem Tag ab, ob es vernünftig war, was sie vorhatte, überwand ihre Zweifel und fasste frischen Mut. Sie öffnete die Tür und betrat das Foyer der Akademie. Nichts hatte
    sich verändert, seit sie kürzlich hier gewesen war: Die gleiche ruhige Atmosphäre, die die besonnene Mischung aus alt und neu des Gebäudes und des Interieurs trug, die gleiche gedämpfte Geräuschkulisse, ja sogar dieselbe blasierte Rezeptionsdame war anwesend. Sina zögerte ein letztes Mal, als sie auf Höhe eines Zimmerspringbrunnens stehen blieb. Doch es gelang ihr, ihren gesunden Menschenverstand so weit zu unterdrücken, dass sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen

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