Beinssen, Jan
wohl in der Hoffnung, dass sich die Frauen doch noch auf eine Beschreibung des Verdächtigen einigen konnten. Aber Gabriele hatte Sina schnell wieder auf ihre Spur gebracht – Diehl bekam keine weiteren Informationen.
»Na schön«, sagte er verdrießlich. Er schob den Frauen je eine Visitenkarte über den Tisch. »Ich schlage vor, Sie lassen die ganze Sache ein wenig sacken und versuchen, sich an weitere Details des Abends zu entsinnen. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist.«
»Warum hast du das getan?«, fragte Sina aufgebracht und mit hochrotem Kopf, kaum dass sie das Präsidium verlassen hatten. Sie standen mitten auf dem Jakobs
platz, hinter ihnen gab die St.-Elisabeth-Kirche mit ihrem klassischen Säulenportal und der riesigen grünen Kuppel eine imposante Kulisse ab.
»Was gemacht?«, mimte Gabi die Unschuldige und steckte die Hände in die Jackentaschen.
»Warum hast du dem Kommissar nicht die Wahrheit gesagt?«
»Habe ich doch. Ich hielt es nur nicht für schlau, sich bei der Beschreibung eines möglicherweise Tatverdächtigen vorschnell und von eigenen Angstgefühlen beeinflusst auf eine exakte Haarfarbe festzulegen. Denn wenn wir uns täuschen, sind wir ruck, zuck wegen Falschaussage dran.«
Sina packte die andere fest an der Schulter: »Rede keinen Unsinn! Du hast Diehl so ziemlich alles verschwiegen, was für seine Ermittlungen wichtig wäre! Willst du uns unbedingt noch weiter in den Schlamassel reinreiten?«
Gabriele blieb gelassen. »Im Gegenteil, Kleines, im Gegenteil.« Sie machte sich von Sina los und schlenderte langsam in Richtung Weißer Turm. »Aber es ist schlicht und einfach so, dass wir uns sämtlicher Möglichkeiten für unser eigenes Handeln berauben würden, wenn wir der Polizei schon jetzt alles preisgeben.«
»Wie? – Was für ein eigenes Handeln?«
»Zumindest die bisher entstandenen Kosten sollten wir wieder herausholen, bevor wir das Feld räumen und den Rest der Polizei überlassen, findest du nicht auch?«
Sina konnte kaum fassen, was sie da hören musste. Wütend fuhr sie ihre Freundin an: »Aus dir spricht die nackte Gier! Du hast dich vom Glanz des Goldes blenden lassen, ohne bisher nur eine einzige Münze, geschweige denn einen Barren gesehen zu haben! Bloß um deine Profitsucht zu befriedigen, willst du uns beide in Lebensgefahr bringen?«
»Gib uns eine letzte Chance«, appellierte Gabriele in versöhnlichem Ton. »Wir können mit eigenen, einfachen Mitteln eine Menge herausfinden, ohne dass eine von uns in Gefahr gerät.«
»Wie sollen diese Mittel aussehen?«, fragte Sina noch immer aufgebracht.
»Ganz einfach. Wir machen es genau so, wie wir es bei der NHA besprochen haben: Du bildest dich fort. Ein paar Tage die Schulbank drücken – das kann dir nicht schaden, oder?« Gabriele lächelte gewinnend.
»Du verlangst doch nicht ernsthaft von mir, dass ich nach all dem, was wir gerade erfahren haben …«
»Doch, Sinalein. Du belegst wie geplant einen Kursus bei der Hotel Akademie. Du wirst dabei die ganze Zeit unter Menschen sein, niemand würde dir dort in aller Öffentlichkeit etwas antun. Gleichzeitig könntest du unauffällig Nachforschungen anstellen, denn in der NHA wärst du mittendrin in …«
»… in der Höhle des Löwen«, vollendete Sina den Satz mit belegter Stimme.
19
Gabriele mochte dieses Gefühl ganz und gar nicht. Aber sie konnte es weder ignorieren noch abstellen. Sie wurde geplagt vom schlechten Gewissen!
Sie mutete ihrer Freundin mal wieder viel zu viel zu. Selbstredend hatte Sina recht gehabt, Gabriele brachte sie beide vorsätzlich in Gefahr! Auch wenn sie glaubte, dass ihre Gegner – wer immer sie wirklich waren – kaum in den eigenen vier Wänden zuschlagen würden und Sina innerhalb der NHA somit in Sicherheit wäre, konnte ihr Plan genauso gut schiefgehen.
Gabriele fluchte leise vor sich hin, als sie am Tag nach ihrem Kripobesuch ihren Wagen auf dem geschotterten Parkplatz am Augustinerhof abstellte und die wenigen Schritte hinüber zum Rathaus ging. Niemals würde sie es sich verzeihen, wenn Sina tatsächlich etwas zustieße. Deshalb wollte sie ein Sicherheitsnetz aus Informationen spinnen: Sie wollte so viel wie möglich über die Hotel Akademie herausfinden und hatte sich zu diesem Zweck mit einer alten Bekannten verabredet, die seit Langem im Wirtschaftsreferat beschäftigt war.
Inge Scholz war alt geworden. Als sich Gabriele bei diesem Gedanken ertappte,
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