Beiss mich - Roman
so traumatisiert, dass es kein Wunder war, wie empfindlich er sich in diesem Punkt aufführte. Dass er zu allem Überfluss auch noch gegen sein eigenes ehernes Gesetz verstoßen hatte, indem er mir seinen ungeschützten Hals hingehalten hatte, war seinem Seelenfrieden auch nicht gerade zuträglich.
Damit sahen wir uns gleich vor einer ganzen Reihe von Problemen. Am Anfang stand seine These, wonach Verwandlungen tabu zu sein hatten, übrigens eine These, der ich ohne Weiteres folgen konnte.
Danach kam jedoch gleich die unverrückbare Tatsache, dass sowohl er als auch ich gegen dieses selbst auferlegte Tabu verstoßen hatten: Er bei mir und ich bei der Herberich, wenn auch beide Vorfälle mehr oder weniger unbeabsichtigt zustande gekommen waren. Dennoch: Um unser inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen, blieb uns im Grunde nur, diese Bisse als einmalige Ausrutscher zu deklarieren und, so gut es eben ging, zur Tagesordnung zurückzukehren – jedenfalls, soweit uns das überhaupt möglich war mit einer Freundin im Genick, die penetrant ebenfalls den Blutsaugerstatus anstrebte, und mit der Verantwortung für eine Vampirin im Rentenalter, die hemmungslos ihren Zorn auf männliche Fußpfleger auslebte.
Doch darüber wollte ich jetzt nicht länger nachdenken, denn draußen graute bereits der Morgen. Rosige Schatten krochen über den Horizont und kündigten den nahenden Sonnenaufgang an. Ich drückte sacht die Haustür zu und atmete tief ein, durchdrungen von der tröstlichen Gewissheit, fürs Erste in Sicherheit zu sein. Es schien tatsächlich, als hätten sich all meine Ängste und Sorgen mit einem Mal in Luft aufgelöst.
»Gehen wir ins Bett?« Martin stand dicht vor mir, groß und dunkel und zuverlässig. »Du erzählst mir alles von vorn und der Reihe nach, und wenn dann noch ein wenig Zeit bleibt, werde ich dich lieben, bis wir einschlafen.«
»Gute Idee«, stimmte ich zu, den Kopf in den Nacken gelegt, damit ich sein Grübchen sehen konnte. »Ich werde mich unheimlich mit dem Erzählen beeilen.«
25. Kapitel
F alls Sie gehofft haben, dass dies schon das Happy End sei, muss ich Sie enttäuschen. Am folgenden Abend ging der Ärger nahtlos weiter. Beim Aufwachen war ich noch in bester Laune, denn Martin drückte sich wieder einmal gegen meinen Rücken, deutlich spürbar bereit, genau an der Stelle weiterzumachen, wo wir vor dem Einschlafen aufgehört hatten. Ich genoss seine Nähe, doch schon nach wenigen Augenblicken fiel mir siedend heiß ein, dass ich meiner Mutter eine plausible Entschuldigung wegen der verpassten Beerdigung schuldig war. Und dass ich Solveig anrufen musste, um mich wegen der Herberich auf den neuesten Stand zu bringen.
Außerdem wurde es Zeit, dass wir anfingen zu packen, um hier unsere Zelte abzubrechen. Ich war mit Martin einer Meinung, dass der Boden langsam unter unseren Füßen zu brennen begann, wie er es treffend in einer von seiner Feuerphobie geprägten Redewendung zu formulieren wusste. Kurz und gut, wir mussten verschwinden, bevor sich der Mob auf unsere Fährte setzen konnte. Wir gingen zwar nicht davon aus, dass sich plötzlich auf dem Römerberg Menschen zusammenrotteten und bewaffnet mit Knoblauchketten, Kreuzen, Pfählen und Silberkugeln gen Taunus zogen. Doch wir unterschätzten die Gefahr keineswegs. Ein einziges Wort zur falschen Zeit und am falschen Ort war vielleicht schon zu viel. Wieder fand Martin die treffende Formulierung: Ein winziger Luftzug reicht aus, um einen Schwelbrand in ein brüllendes Inferno zu verwandeln.
Der schwache Punkt in unserer Sicherheitsstrategie war und blieb Solveig, daran führte kein Weg vorbei. Erstens kannte sie unseren Aufenthaltsort, und zweitens war sie im Augenblick der labilste Mensch von ganz Frankfurt. Die beiden Fakten vereinten sich zu einer Art Höllencocktail, der jeden Moment hochgehen konnte.
»Tut mir leid, ich kann mich jetzt nicht konzentrieren.« Ich schob Martins Hände von meinem Bauch weg und kämpfte mich aus der Nylonhülle des Schlafsacks. Dann küsste ich Martin schmatzend auf den Mund, schlüpfte in meine überall verstreut in der Gruft herumliegenden Klamotten und rannte nach oben.
»Wo willst du hin?«, rief er mir nach.
»Telefonieren!«
Ich hockte mich mit meinem Handy ins Wohnzimmer, wo ich kurz zauderte, weil ich nicht wusste, wen ich zuerst anrufen sollte: Mama oder Solveig.
Mama, beschloss ich.
Sie war wütend, als sie meine Stimme hörte.
»Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich nicht da war«, kam
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