Beiß mich, wenn du dich traust
die ganze Zeit die Klügere von uns beiden war. Haben Glanz und Gloria der Vampire mich so sehr verführt, dass ich das Böse unter der attraktiven Oberfläche einfach ignoriert habe?
Aber jetzt ist es zu spät. Ich bin ein Vampir. Eine blutsaugende Bestie. Bis in alle Ewigkeit. Und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Ich wünsche mir so sehr, dass Jareth bei mir wäre. Er würde mir helfen. Nicht, dass ich ein hilfloses Dornröschen bin, das von einem Prinzen gerettet werden muss. Aber manchmal ist es doch ganz schön, Unterstützung zu haben.
Da wir gerade von Sunny sprachen - wo zum Teufel steckt sie eigentlich? Es ist schon fast Morgen und es sieht nicht so aus, als hätte sie in ihrem Bett geschlafen. Gott, ich hoffe, sie hat nicht irgendwelche Probleme wegen der abendlichen Ausgangssperre bekommen. In Gedanken sehe ich Direktorin Roberta vor mir, wie sie einen zappelnden Leichensack den Weg hinunterschleppt, und bekomme eine Gänsehaut.
Gerade als ich beschließe, hinauszuschlüpfen und nach ihr zu suchen (ich kann sowieso nicht schlafen), geht die Zimmertür knarrend auf und Sunny schleicht auf Zehenspitzen herein.
»Wo hast du gesteckt, verdammt noch mal?«, überfalle ich sie und deute auf den Wecker, der rot leuchtend vier Uhr fünfzehn anzeigt. »Ich habe mir Sorgen gemacht!«
Erschrocken fährt sie zusammen. Dann fängt sie an zu lachen. »Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!«, sagt sie und lässt sich, immer noch lachend, aufs Bett fallen. Ich rümpfe die Nase. Sie riecht, um ehrlich zu sein, ziemlich streng. War sie etwa die ganze Nacht unterwegs?
»Na, du hast eher mir einen Schreck eingejagt. Es ist fast fünf Uhr morgens. Ich wollte gerade einen Suchtrupp losschicken.« Mir fällt auf, dass sie immer noch dieselben Klamotten trägt wie am Tag zuvor. Bei jeder anderen würde ich jetzt »Schlampe!« sagen. Aber wir reden hier von Sunny, meiner Schwester. Unschuldig wie ein .. .
»Ich habe was mit Aiden angefangen«, verkündet sie aufgeregt. »Oh Mann, der ist ja so scharf.«
Ich fahre im Bett hoch. »Du hast was?«, rufe ich.
»Du meinst, du hast allen Ernstes mit ihm ...?
Und ich dachte, du wärst in Peter... ?« Ich bin völlig durcheinander, überschlage mich fast in meinem Gestammel und weiß gar nicht, welche Frage ich zuerst beantwortet haben will. »Was ist mit Magnus, Sunny? Soll das heißen, du . . . hast ihn betrogen?«
Das kann doch nicht wahr sein!? Kann es sein, dass meine Schwester nach dem ganzen Hin und Her und all dem Sichaufsparen ihre Jungfräulich-keit jetzt mal eben schnell an einen dahergelau-fenen Typen aus dieser Killerschule verschwendet hat? Niemals. Nie und nimmer. Das muss ein schlechter Witz sein.
Sunny, deren Silhouette sich vor der durchs Fenster fallenden Morgendämmerung abzeichnet, zuckt amüsiert mit den Achseln. »Magnus? Wer ist Magnus?«, sagt sie kichernd.
»Willst du mich verarschen?«, frage ich. »Du hast tagelang hier drin gehockt und warst kaum ansprechbar, weil du den Typ nicht erreichen konntest. Hast gejammert, dass du ohne ihn sterben würdest. Und jetzt erzählst du mir, dass du dich mit irgendwelchen x-beliebigen Klassen-kameraden einlässt und so tust, als existiere er gar nicht?« Ich schüttele ungläubig den Kopf.
»Ach weißt du, ich hab mich einfach gelangweilt.
Und ein Mädchen hat schließlich seine Bedürfnisse«, erwidert sie schmollend.
»Sunny, ich kenne dich, seit du aus unserer gemeinsamen Gebärmutter geflutscht bist. Du hattest noch nie Bedürfnisse«, erinnere ich sie.
»Außerdem hast du mir immer wieder vorgebetet, dass deine erste Erfahrung etwas Besonderes sein soll.« Ich schnaube verächtlich. »War das jetzt etwas Besonderes, Sun? War das Rummachen mit Aiden die Erfüllung deiner Träume?«
Sunny sieht ein bisschen bestürzt drein, fängt sich aber gleich wieder. »Ja, es war toll«, gibt sie zurück. »Absolut fantastisch. Ich kann es gar nicht erwarten, es wieder zu tun.«
Ich merke, wie mir Tränen in die Augen schießen, und bin dabei nicht einmal sicher, warum. Immer-hin habe ich jahrelang auf sie eingeredet, dass sie es endlich tun soll. Ich sollte froh sein, dass sie es jetzt hinter sich gebracht hat. Doch ich kann nur an Magnus' traurige Augen denken. Wenn er davon wüsste, wäre er am Boden zerstört. Total am Boden zerstört.
Sunny betrachtet mich stirnrunzelnd. »Du bist ja so was von selbstgerecht, Rayne«, schimpft sie.
»Was soll das? Bildest du dir ein, nur du darfst hier
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