Beiß mich, wenn du dich traust
meiner Mutter, versteckt auf einem Dachbalken.«
Ich denke an mein eigenes Tagebuch und stelle mir vor, wie meine Tochter eines Tages darüber stolpert. Was würde sie von all meinen Abenteurn halten? Dann fällt mir ein, dass ich ein Vampir bin. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich fortpflanzen kann. Der Gedanke macht mich einen Moment lang traurig.
Ich konzentriere mich wieder auf Corbins Geschichte. »Ich weiß nicht, ob du bei deinem Hausunterricht von Blutbars gehört hast«, fährt er fort. »Das sind im Prinzip eine Art Fetisch-Clubs, wo Menschen freiwillig hingehen, um sich von Vampiren beißen zu lassen.« Er runzelt die Stirn.
»Sie gehen in diese . . . Kammern und warten darauf, dass ein Vampir kommt und ...« Er stockt und ein Schauer überläuft ihn. »Es ist wirklich widerlich, Rayne. Ich habe keine Ahnung, warum jemand so was freiwillig macht und sich davon auch noch antörnen lässt.«
Der entrüstete Ausdruck auf seinem Gesicht gibt mir das Gefühl, der Abschaum dieser Welt zu sein. Gott, was habe ich getan? Mir ist total flau im Magen.
»Jedenfalls konnte ich, als ich nach Achtal kam, weitere Nachforschungen anstellen. Slayer Inc.
hat sogar eine Akte über den Fall. Dem Protokoll zufolge hatte eines Nachts ein Vampir in der Blutbar allzu großen Hunger und konnte nicht aufhören, von meiner Mutter zu trinken. Er hat ihr einfach das Leben rausgesaugt, während mein Vater hilflos in einer Ecke saß und zusah. Als ihm klar wurde, was da vor sich ging, versuchte er, den Vampir zu überwältigen.« Corbin lacht ver-bittert. »Was ihm so gut gelang, wie zu erwarten war. Der Vampir brachte ihn um und entkam und man hat nie wieder etwas von ihm gehört.«
Corbin holt tief Luft. »Slayer Inc. hat in der Blutbar eine Razzia gemacht und sie geschlossen, aber außer den Aufzeichnungen der Über-wachungskameras, die die Morde dokumen-tierten, gab es keine anderen Beweise. Es ist immer noch ein offener Fall. Ungelöst bis heute.«
»Also hast du beschlossen, Slayer Inc. beizutre-ten«, schlussfolgere ich.
»Meine Großmutter starb, als ich zwölf war.
Sechs Jahre nach der Ermordung meiner Eltern.
Slayer Inc. ist auf dem Friedhof aufgetaucht und hat mir angeboten, eine Ausbildung bei ihnen zu machen. Ich war mehr als bereit dazu.« Er ballt seine Hände zu Fäusten. »Ich kann es kaum erwarten, meinen Abschluss zu machen und den Vampir aufzuspüren, der meine Eltern getötet hat.
Er wird sich wünschen, er wäre nie geboren worden.«
Seine Wut ist so heftig und ungezähmt, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme. Ich versuche, von dem Baumstamm aufzustehen, aber er fasst wieder meinen Arm und zieht mich zurück. »Geh nicht«, sagt er flehentlich. »Nicht jetzt, nachdem ich dir das erzählt habe. Du bist die Einzige, der ich es bis jetzt anvertraut habe, und...« Seine Stimme bricht und er sieht mich hilflos an.
»Ehrlich gesagt bin ich gerade ein bisschen deprimiert.«
»Oh, Corbin«, sage ich und fühle total mit ihm.
Nach außen tut er so cool und selbstsicher, aber tief drinnen verbirgt sich ein großer Schmerz. Ich umarme ihn tröstend.
Mehr Aufforderung braucht er nicht. Er nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände, zieht mich an sich und erobert meinen Mund mit seinen Lippen. In seinem wilden Kuss liegt eine verzweifelte Traurigkeit. Das Bedürfnis, den Erinne-rungen zu entfliehen, die er so lange in sich vergraben hatte.
Aber so geht das nicht, das kann ich nicht. Egal, wie sehr ich ihm helfen möchte. Ich bin nicht mehr so. Nicht mehr das Mädchen, das lügt, betrügt und verrät. Ich gehöre jetzt zu Jareth. Und das bedeutet mir etwas.
Also versuche ich, mich freizukämpfen, aber sein Griff ist stark und leidenschaftlich und selbst meine Vampirkraft hilft mir hier nicht weiter. Er fummelt an meiner Bluse herum und ich schlage seine Hände weg. Alles, woran ich denken kann, ist Jareth, wie er auf die Lichtung tritt, Enttäuschung und Entsetzen im Gesicht, als er mich sieht und die Situation missversteht.
Ich muss das hier beenden. Sofort.
»Corbin, hör auf!«, flehe ich. Aber er hört nicht auf. Er hat sich in seiner Welt aus Schmerz und Wut verloren und ich höre ein ratschendes Ge-räusch, als er es schafft, mein Hemd zu zerreißen.
Ich schlucke. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.
Ich schiebe meine Schuldgefühle beiseite, taste nach dem Verband an seinem Hals und reiße ihn ab. Meine Vampirzähne gleiten heraus und bohren sich in seine Haut. . .
Und dann
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