Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
von mir nicht vermasseln lassen.
»Einverstanden?«, frage ich. »Phantomzeichnung gegen gemeinsamen Besuch bei der Schwester?«
»Du hast dich überhaupt nicht verändert, Katja.«
»Du wiederholst dich, Marcel.«
Wie nicht anders zu erwarten, geht er auf den Deal ein. Wahrscheinlich ist er sogar froh darüber, die traurige Nachricht nicht allein überbringen zu müssen.
Die Zeichnung kommt sehr schnell zustande; der Künstler souffliert mir die französischen Begriffe. Wie erfreulich, dass zumindest Rudimente dieser Sprache noch passiv in meinem Hirn abgelagert sind. Vom Kunstwerk des Lüttichers aber zeigt sich Marcel enttäuscht.
»Das bringt uns nicht weiter«, sagt er, während der Zeichner das schöne ebenmäßige Gesicht abwechselnd mit hellen, dunklen, langen, kurzen, glatten und lockigen Haaren einrahmt. »Die sieht ja aus wie alle diese Schauspielerinnen, die man nie wieder erkennt.«
»Sag ich doch. Aber vielleicht hat die Schwester so eine ähnliche Frau schon mal gesehen?«
Aus der Not, mich mitnehmen zu müssen, macht Marcel schnell eine Tugend. Es sei besser, in meinem Wagen zusammen nach Atzerath zu fahren . Wegen der Nachbarn. Könne ja sein, dass die Frau hinterher lieber mit ihrem Kummer allein sein wolle. Ein Polizeiauto vor der Haustür errege im Grenzgebiet mehr unnötige Neugier als ein PKW mit deutschem Kennzeichen.
»Wohnt sie denn immer noch im Pfarrhaus?«, frage ich unterwegs verwundert.
»Es ist ihr Elternhaus … Vorsicht, Katja! Auf diesem Abschnitt blitzen wir oft, also halt dich von hier bis … ja, etwa hier … immer an die Geschwindigkeit. Das wird sonst richtig teuer.«
Kein Mensch, nicht einmal Marcel, könnte auf dieser zugematschten, holprigen und kurvenreichen Straße auch nur annähernd die hier erlaubten neunzig Stundenkilometer erreichen. Mit weiteren überflüssigen Fahrhinweisen, einer ausführlichen Schilderung des schönen und gepflegten Anwesens der Familie Lambert und Bemerkungen über die erstaunlich milden Temperaturen nach dem gestrigen Schneesturm hält Marcel jene allzu große Vertrautheit in Schach, die während der viertelstündigen Fahrt auf so engem Raum hätte aufkommen können. Der ansonsten wortkarge Mann holt zwischendurch nicht mal so viel Luft, dass ich eine Frage über die zwei toten Frauen in Hergersberg dazwischenquetschen kann. Wahrscheinlich sollte ich froh sein, dass er mir diesmal die verbrannte Erde erspart.
Kurz hinter dem Ortsschild von Atzerath halten wir vor einem Mäuerchen in der Einfahrt eines großen Bruchsteinhauses.
Ich hatte eine stämmige ältere Frau erwartet, mit grauem Knoten, Kittelschürze und resolutem Gesicht; eine Erscheinung eben, die dafür geschaffen ist, einem katholischen Pastorenhaushalt vorzustehen. Christine Lambert aber entpuppt sich als ausgesprochen petite , wie Marcel sagen würde, zierlich, mit diskret geschminkten filigranen Zügen, Mausezähnchen und grau melierter Kurzhaarfrisur.
Sie begrüßt Marcel wie einen alten Bekannten und nickt ernst, als er von einer traurigen Mitteilung spricht.
»Jean-Marie ist also tot?«
Marcel hat mir zwar von dem wirklich feinen und gepflegten ehemaligen Pfarrhaus erzählt, aber auf dessen spezielle Ausstattung bin ich nicht vorbereitet gewesen. Staunend sehe ich mich um, als uns Frau Lambert in ein Wohnzimmer führt, dessen Mobiliar ich eher in einer englischen Villa als in einem Eifeler Bruchsteinhaus erwartet hätte. Ich bleibe kurz vor einem dreitürigen viktorianischen Kabinettschrank aus Mahagoni stehen. In der Vitrine des Spiegelaufsatzes stapelt sich feines Wedgwood-Porzellan. Das Möbel weist uralte Beschläge auf, ein wirklich edles antikes Teil. Nun, nicht jeder gibt sich so wie ich mit ererbten belgischen Eichenmöbeln zufrieden. Alles in diesem Raum atmet unaufdringlichen angelsächsischen Wohlstand. Nichts, was ich um mich herum sehe, passt zu der abgerissenen Gestalt, die in meinem Restaurant ein so schreckliches Ende gefunden hat.
Die Nachricht vom Tod ihres Bruders hat Christine Lambert zunächst erstaunlich gefasst aufgenommen. Erst als Marcel mit den näheren Umständen rausrückt, krümelt sie in ihrem braunledernen Klubsessel zusammen. Tonlos wie ein Mantra wiederholt sie einen seltsamen Halbsatz: »Dass er hier war … dass er hier war … dass er hier war …«
Ich hocke mich neben sie hin, aber eine Umarmung wehrt sie ab.
»Er war wirklich hier in der Eifel?«, fragt sie plötzlich ganz sachlich. Sie wischt sich über die Augen und
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