Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
setzt sich wieder aufrecht hin.
»Wo hätte er denn sonst sein sollen?«, fragt Marcel sanft zurück.
Sie hebt die Schultern.
»Im Ausland, dachte ich. Und dass er da gestorben ist. Weil er sich nie gemeldet hat.«
»Was wollte er denn im Ausland?«, hake ich nach.
»Komische Sachen lernen wollen, glaube ich«, murmelt sie. »Andere Dinge …«
»Lernen? Was und wo?«
»Indien, Japan, Afrika … ich weiß nicht, Frau Klein. Da, wo die Leute einen anderen Blick auf die Wirklichkeit haben, eine andere Wirklichkeit, so was Ähnliches hat er mal gesagt. Verstanden habe ich es nicht. Da tat er sehr geheimnisvoll. Irgendwie hing das mit Physik zusammen und vielleicht auch mit dieser merkwürdigen Frau …« Sie bricht ab.
»Etwa diese?« Marcel beugt sich vor, hebt mit einer Hand eine randlose Brille vom niedrigen englischen Couchtisch und reicht ihr dann mit der anderen eine Kopie des Phantombildes. Christine Lambert rückt die Brille auf ihrer Nase zurecht und vertieft sich dann sehr lange in das Studium der nichtssagenden Abbildung.
»Ja, genau, es war diese Frau«, sagt sie unvermittelt und geht mit dem Bild zur Tür, an der es soeben geklingelt hat.
Marcel sieht mich verdattert an.
»Wie kann das sein?«, flüstert er. »Wie kann man irgendwen drauf erkennen?«
»War der Bäcker«, erklärt Christine Lambert, als sie zurückkehrt und einen Eierkarton auf einem Sideboard aus Mahagoni abstellt. »Wir haben keinen mehr im Dorf.«
Aber wenigstens kommt mittags einer vorbei und bringt auch noch Eier mit. Davon können wir auf der Kehr inzwischen nur noch träumen.
»Wer ist die Frau?«, fragt Marcel. »Und an was haben Sie sie denn erkannt?«
»So sieht doch sonst niemand in echt aus«, antwortet sie. »So glatt und hergerichtet. So unbeschreiblich schön.«
Diese Erklärung überzeugt mich, aber leider weiß Frau Lambert weiter nichts über die elegante Dame, die ihren Bruder etwa eine Woche vor seinem damaligen Verschwinden zweimal aufgesucht und mit der er sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte. »Ich durfte ihnen nicht einmal Kaffee bringen.« Und dann lässt sie doch noch eine Information los: »Sie war mal eine seiner Messdienerinnen, hat er mir hinterher gesagt, aber das muss vor meiner Zeit hier gewesen sein.«
»Ha!«, entfährt es mir.
Marcel sieht mich warnend an, also denke ich mir nur meinen Teil und hebe die naheliegende Äußerung für später auf.
Frau Lambert bricht plötzlich in Tränen aus.
»Dass er hier war … und jetzt tot ist!«
Unter Schluchzen fragt sie Marcel, wann und wo sie sich von ihrem toten Bruder verabschieden könne. Nachdem sie den Zettel mit der gewünschten Information entgegengenommen hat, fordert sie uns auf zu gehen. Sie müsse jetzt mit ihrer Trauer allein sein. Ihre Bitte klingt so entschieden, dass es Marcel nicht gelingt, wie sonst immer, noch eine Frage hinterherzuschieben.
»Messdienerin!«, sage ich vielsagend, bevor wir wieder in meinen Wagen steigen. »Die natürlich missbraucht worden ist. Ich bleibe dabei: Es war ein Racheakt.«
»Warum hat sie ihn dann vor fünf Jahren nicht gleich in seinem Haus erschossen?«
»Weil sie keine Pistole dabeihatte. So leicht ist es schließlich nicht, sich eine zu beschaffen. Jedenfalls ist das schon mal ein Anfang; die Liste seiner Messdienerinnen wird sich wohl auftreiben lassen.«
»Ja, und ihr Alter können wir somit auch eingrenzen.« Marcel schnallt sich sehr umständlich fest. Bestimmt, um jede Berührung mit der Fahrerin zu vermeiden.
»Lambert war über dreißig Jahre lang in Mackenbach tätig«, erinnere ich ihn.
»Aber Messdienerinnen gibt es noch gar nicht so lange. Hier bei uns in der Deutschsprachigen Gemeinschaft erst vereinzelt ungefähr ab Mitte der Achtzigerjahre und in Eupen sogar erst ab den Neunzigern. Die Frau kann also allerhöchstens um die vierzig sein. Nein, Katja, nicht rumdrehen. Fahr jetzt Richtung Kehr.«
Klar, er will dort die Lage peilen, aus unseren Freunden, vor allem aus Gudrun, Informationen rauskitzeln, die seine Euskirchener Kollegen vielleicht nicht ins Protokoll für die Polizeizone Eifel hineingeschrieben haben.
»Und wie kommst du dann zurück?« Ich gebe vorsichtig Gas. Hier ist die Straße besonders glatt.
»Vielleicht so, wie der Pastor Lambert auf die Kehr gekommen ist. Irgendwer wird sich schon meiner erbarmen und mich mitholen.«
»Der Pfarrer ist zu Fuß gekommen. Da bin ich mir ziemlich sicher, so wie der aussah.« Ich wiederhole, was ich vor ihm und
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