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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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den merkwürdigsten Magen. Er hat verschiedene Kammern, und aus einer davon stoßen sie das Gefressene wieder auf ins Maul. Dann liegen sie und kauen mit Genuß die Klumpen noch einmal recht gründlich durch. Sie mögen sagen, es sei sonderbar, zum Waldeskönig gekrönt zu sein bei solcher Familiengewohnheit. Aber ich verehre die Natur in allen ihren Einfällen und kann mich ganz gut hineinversetzen in die Gewohnheit des Wiederkäuens! Schließlich gibt es etwas wie Allsympathie.«
       »Zweifelsohne«, sagte Hurtado betroffen. Er war wirklich etwas verlegen ob meiner gehobenen Ausdrucksweise – als ob es eine weniger gehobene gäbe für das, was ›Allsympathie‹ besagt. Da er aber vor Verlegenheit starr und traurig blickte, beeilte ich mich, in Erinnerung zu bringen, daß der Hausherr uns erwarte.
    »Sehr wahr, Marquis. Ich täte unrecht, Sie länger hier festzuhalten. Darf ich nach links bitten …«
    Links am Korridor lag Kuckucks Bureau. Er erhob sich vom Schreibtisch bei unserem Eintritt, indem er die Arbeitsbrille von seinen Sternenaugen nahm, die ich mit einer Empfindung wiedererkannte, als hätte ich sie vordem im Traum gesehen. Seine Begrüßung war herzlich. Er äußerte sein Vergnügen über den Zufall, der mich schon mit seinen Damen zusammengeführt, und über die getroffenen Verabredungen. Einige Minuten lang saßen wir um seinen Tisch, und er erkundigte sich nach meiner Unterkunft, meinen ersten Eindrücken von Lissabon. Dann schlug er vor: »Machen wir uns auf unseren Rundgang, Marquis?«
    So taten wir. Vor dem Hirschen draußen stand jetzt eine Schulklasse, zehnjährige Kinder, die ihr Lehrer über das Tier unterwies. Mit gleichmäßig verteiltem Respekt blickten sie hin und her zwischen diesem und ihrem Mentor. Sie wurden dann an den Glaskästen mit Käfer- und Schmetterlingssammlungen vorübergeführt, welche die Halle umgaben. Wir hielten uns dabei nicht auf, sondern betraten rechtshin eine offene Flucht ungleich großer Räume, wo denn nun freilich der »Sinn für die Charaktere des Lebens«, dessen ich mich gerühmt hatte, sein Genüge, ja ein bedrängendes Übergenüge finden mochte, so dicht und den Blick der Sympathie fangend auf Schritt und Tritt war Zimmer und Saal von je und je dem Schoß der Natur entquollenen Bildungen, welche neben dem trüben Versuch sogleich auch das genauest Entwickelte, in seiner Art Vollendetste gewahren ließen. Hinter Glas war ein Stück Meeresboden dargestellt, auf dem frühestes organisches Leben, pflanzliches, zum Teil in einer gewissen Unanständigkeit der Formen, skizzenhaft wucherte. Und gleich daneben sah man Querschnitte von Muscheln aus untersten Erdschichten – hinweggemodert seit Millionen Jahren die kopflosen Weichwesen, denen sie zum Schutze gedient – von so minuziöser Ausarbeitung des Inneren der Gehäuse, daß man sich wunderte, zu welch peinlicher Kunstfertigkeit die Natur es in so alten Tagen gebracht.
       Einzelne Besucher, Leute, die das gewiß populäre Eintrittsgeld zu erlegen gehabt hatten, begegneten uns, führerlos, da ihr gesellschaftlicher Rang keinen Anlaß zu besonderer Betreuung gab, so daß sie sich also auf die in der Landessprache abgefaßten Erläuterungen angewiesen fanden, mit denen die Objekte versehen waren. Neugierig blickten sie sich um nach unserer kleinen Gruppe und glaubten in mir wahrscheinlich einen ausländischen Prinzen zu sehen, dem die Verwaltung die Honneurs des Hauses machte. Ich leugne nicht, daß mir das angenehm war; und dazu empfand ich als zarten Reiz den Kontrast zwischen meiner Feinheit und Eleganz und der tiefen Urtümlichkeit der oft ungeheuerlich anzusehenden fossilen Naturexperimente, deren flüchtige Bekanntschaft ich machte, dieser Urkrebse, Kopffüßer, Armfüßer, fürchterlich betagten Schwämme und eingeweidelosen Haarstern-Tiere.
    Was mir dabei bewegend im Sinne lag, war der Gedanke,
    daß dies alles erste Ansätze, in keinem noch so absurden Fall einer gewissen Eigenwürde und Selbstzweckhaftigkeit entbehrende Vorversuche in der Richtung auf mich, will sagen: den Menschen waren; und dies bestimmte die höflich zusammengenommene Haltung, in der ich mir etwa den nackthäutigen, spitzmäuligen Meeressaurier vorstellen ließ, von dem ein wohl fünf Meter langes Modell in einem gläsernen Wasserbehälter schwamm. Dieser Freund, der es weit über die hier gezeigte Größe hatte hinausbringen können, war ein Reptil, aber von Fischgestalt, und ähnelte dem Delphin, der jedoch ein

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