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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Säugetier war. So zwischen den Gattungen schwebend, glotzte er mich von der Seite an, während meine eigenen Augen, unter Kuckucks Worten, schon in weitere Räume voranglitten, wo, durch mehrere hindurchreichend, von einer rotsamtenen Sperrkordel eingefaßt, wahrhaftig ein Dinosaurier in voller Lebensgestalt aufgebaut zu sein schien. So geht es ja in Museen und Ausstellungen: sie bieten zuviel; die stille Vertiefung in einen oder wenige Gegenstände aus ihrer Fülle wäre für Geist und Gemüt wohl ergiebiger; schon wenn man vor den einen tritt, ist der Blick zu einem anderen vorangeschweift, dessen Anziehung die Aufmerksamkeit für jenen beirrt, und so fort durch die Flucht der Erscheinungen. Übrigens sage ich das aus einmaliger Erfahrung, denn ich habe später kaum je wieder solche Belehrungsstätten besucht. Das ungefüge Wesen angehend, das, von der Natur verdrossen fallengelassen, hier an Hand seiner versunkenen Reste treulich wiederhergestellt war, so hatte das Haus keinen Saal, der seinen Dimensionen gewachsen gewesen wäre, – alles in allem war es ja, Gott sei’s geklagt, vierzig Meter lang, und wenn man ihm zwei, durch einen weit offenen Bogen verbundene Gemächer eingeräumt hatte, so hatten auch diese nur durch eine geschickte Anordnung seiner Gliedmaßen den Ansprüchen genügt, die sie stellten. Wir gingen durchs eine Zimmer vorbei an dem riesigen, in eine Windung gelegten Lederschweif, den hautigen Hinterbeinen und einem Teil des bauchigen Rumpfes; nebenan aber war der Vorderfigur ein Baumstamm – oder war es eine stumpfe Steinsäule? – errichtet, worauf der Ärmste, halbaufgerichtet, sich nicht ohne ungeheuerliche Grazie mit einem Fuße stützte, indes der endlose Hals mit dem nichtigen Köpfchen daran sich in betrübtem Sinnen – aber kann man sinnen mit einem Sperlingshirn? – zu diesem Fuß herabneigte.
       Ich war sehr ergriffen vom Anblick des Dinosauriers und sprach im Geiste zu ihm: ›Laß dir’s nicht nahegehen! Gewiß, du bist verworfen worden und kassiert wegen Maßlosigkeit, aber du siehst, wir haben dich nachgebildet und gedenken dein.‹ Und doch war nicht einmal auf dieses Renommierstück des Museums meine Aufmerksamkeit voll versammelt, sondern wurde durch gleichzeitige Anziehungen abgelenkt: Von der Decke herabhängend schwebte, die Hautschwingen gespreitet, ein Flugsaurier, dazu der eben aus dem Reptilischen hervorgegangene Urvogel mit Schweif und bekrallten Fittichen. Eier gebärende Säugetiere mit Tragtaschen gab es auch nahebei und stumpfgesichtige Riesengürteltiere weiterhin, deren Natur sie fürsorglich mit einem Rücken- und Flankenpanzer aus dicken Knochenplatten geschützt hatte. Aber die Natur ihres gierigen Kostgängers, des Säbelzahntigers, hatte ganz ebenso für diesen gesorgt und ihn so starke Kiefer und solche Brechzähne ausbilden lassen, daß er damit dem Knochenpanzer knackend beikommen und dem Gürteltier große Stücke seines wahrscheinlich sehr wohlschmeckenden Fleisches vom Leibe reißen konnte. Je größer und dicker gewappnet der widerwillige Wirt wurde, desto gewaltiger wurden Kiefer und Gebiß des Gastes, der ihm freudig zum Mahl auf den Rücken sprang. Als aber eines Tages, berichtete Kuckuck, Klima und Pflanzenwuchs dem großen Gürteltier einen Streich spielten, derart, daß es seinen harmlosen Unterhalt nicht mehr fand und einging, da saß, nach all dem Wettstreit, auch der Säbelzahntiger da mit seinen Kiefern und seinen Panzerbrechern im Maul, verelendete rasch und gab die Existenz auf. Dem wachsenden Gürteltier zuliebe hatte er alles getan, um nicht zurückzubleiben und sich zum Knacken tüchtig zu halten. Jenes hinwiederum wäre so groß und dick beschient nie geworden ohne den Liebhaber seines Fleisches. Wenn aber die Natur es schützen wollte gegen diesen durch die immer schwerer zu zerbrechende Panzerwölbung, warum hatte sie gleichzeitig dann immerfort die Kinnbacken und Säbelzähne des Feindes verstärkt? Sie hatte es mit beiden gehalten – und also mit keinem von beiden –, hatte nur ihren Scherz mit ihnen getrieben und sie, als sie sie recht auf die Höhe ihrer Möglichkeiten gebracht, im Stich gelassen. Was denkt die Natur sich? Sie denkt sich gar nichts, und auch der Mensch kann sich nichts bei ihr denken, sondern sich nur verwundern über ihren tätigen Gleichmut, und dabei nach rechts und links sein Herz verschenken, wenn er als Ehrengast unter der Vielfalt ihrer Gestalten wandelt, wovon so wunderschöne Modelle, zum

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