Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
hatte zurückkehren müssen, ekelte mich; heftig fühlte ich mich angetrieben, es mir vom Leibe zu reißen, aber nicht nur, um, wie wohl sonst, im Schlafe Zuflucht für meine Unrast zu suchen. Wahre Zuflucht würde ich, so schien es mir, einzig und allein in Genovefa’s Armen finden, ja, um alles zu sagen, so kam es mir vor, als werde die grenzenlose Vertraulichkeit mit ihr eine Art Fortsetzung und Vollendung jener bunten Abendunterhaltung und geradezu das Ziel meiner Wanderung durch Pate Schimmelpreesters Maskengarderobe sein! Dies mochte sich nun wie immer verhalten, so entzieht sich das markverzehrende, wahrhaft unerhörte Vergnügen, das ich an Genovefa’s weißer und wohlgenährter Brust erprobte, jedenfalls aller Beschreibung. Ich schrie und glaubte gen Himmel zu fahren. Und nicht eigennützigen Wesens war meine Lust, sondern sie entzündete sich, wie das in meiner Natur begründet ist, so recht erst an dem Ergötzen, das Genovefa über die genaue Bekanntschaft mit mir an den Tag legte. Selbstverständlich scheidet hier jede Möglichkeit des Vergleichens aus. Meine private Überzeugung jedoch, die ich damals gewann und die weder beweisbar noch widerlegbar ist, geht unerschütterlich dahin, daß bei mir der Liebesgenuß die doppelte Schärfe und Süßigkeit besaß als bei anderen.
Allein man täte mir Unrecht, indem man schlösse, daß ich auf Grund dieser besonderen natürlichen Mitgift zum Lüstling und Weiberhelden geworden sei. Dieses war mir verwehrt, aus dem einfachen Grunde, weil mein schwieriges und gefährliches Leben Anforderungen an meine Spannkraft stellte, denen sie unmöglich hätte genügen können, wenn ich mich auf so durchgreifende Art hätte ausgeben wollen. Denn während es, wie ich beobachtete, Leute gibt, denen die fragliche Betätigung nur eine Kleinigkeit ist, die sie obenhin abtun und von welcher sie mir nichts, dir nichts zu irgendwelchen Geschäften hinweggehen, als ob nichts geschehen wäre, brachte ich ungeheure Opfer dabei und stand völlig ausgeleert, ja vorderhand jedes Antriebes zum Lebensdienste beraubt, davon auf. Oft bin ich ausgeschweift, denn mein Fleisch war schwach, und ich fand die Welt nur allzu bereit, mir buhlerisch entgegenzukommen. Letzten Endes jedoch und im ganzen genommen war meine Sinnesart ernst und männlich, und aus erschlaffender Wollust verlangte mich baldigst in eine strenge und angespannte Führung zurück. Ist denn nicht auch der tierische Liebesvollzug nur die roheste Art und Weise, dessen zu genießen, was ich einst ahnungsvoll ›Die große Freude‹ nannte? Er entnervt uns, indem er uns allzu gründlich befriedigt, und er macht uns zu schlechten Liebhabern der Welt, indem er einerseits diese vorerst des Schmelzes und Zaubers, andererseits uns selber der Liebenswürdigkeit entkleidet, denn liebenswürdig ist nur der Verlangende, nicht der Satte. Ich für meinen Teil kenne viele feinere,
köstlichere, verflüchtigtere Arten der Genugtuung als die derbe Handlung, die zuletzt doch nur eine beschränkte und trügerische Abspeisung des Verlangens bedeutet, und ich meine, daß derjenige sich wenig auf das Glück versteht, dessen Trachten nur geradewegs auf dies Ziel gerichtet ist. Das meine ging stets ins Große, Ganze und Weite, es fand feine, würzige Sättigung, wo andere sie nicht suchen würden, es war von jeher wenig spezialisiert oder genau bestimmt, und dies ist eine der Ursachen, weshalb ich trotz inbrünstiger Veranlagung so lange unwissend und unschuldig, ja eigentlich zeit meines Lebens ein Kind und Träumer verblieb.
Neuntes Kapitel
H iermit verlasse ich diese Materie, bei deren Bearbeitung ich den Kanon des Schicklichen keinen Augenblick durchbrochen zu haben glaube, und mit großen Schritten vorwärtseilend, nähere ich mich jenem Wendepunkt meines äußeren Lebens, welcher den tragischen Abschluß meines Aufenthaltes im elterlichen Hause bildet. Zuvor habe ich der Verlobung meiner Schwester Olympia mit dem Secondeleutnant Übel vom Zweiten Nassauischen Infanterieregiment Nr. 88 in Mainz zu gedenken, die sehr festlich begangen wurde, ohne daß sich ernste Lebensfolgen daraus ergaben. Denn unter dem Zwang der Verhältnisse löste sie sich wieder auf, und die Braut trat nach dem Zusammenbruch unseres Hausstandes zur Operettenbühne über. – Übel, ein kränklicher, lebensunkundiger junger Mann, war ein ständiger Teilnehmer an unseren Gastereien. Erhitzt von Tanz und Pfänderspielen, vom ›Berncastler Doktor‹ und jenen Einblicken,
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