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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Daunenkissen, die Spiegelkästchen und Riechflakons unterlagen der öffentlichen Versteigerung, nicht einmal die Hellebarden über den Fenstern und die lustigen Vorhänge aus buntem Rohr blieben verschont, und wenn die kleine Vorrichtung über dem Windfang, ganz unberührt von all der Plünderung, noch immer mit zierlichem Klingen den Anfang des Liedes ›Freut euch des Lebens‹ spielte, so geschah es nur, weil die Gerichtsherren ihrer nicht achtgehabt hatten.
       Man konnte zunächst nicht sagen, daß mein armer Vater eigentlich den Eindruck eines Gebrochenen machte. Aus seinen Zügen sprach eine gewisse Befriedigung darüber, daß seine Angelegenheiten, die zu entwirren für ihn ein Ding der Unmöglichkeit geworden war, sich nun in so guten Händen befanden, und da das Bankinstitut, in dessen Besitz unsere Liegenschaften übergegangen waren, uns aus Gnade und Erbarmen den vorläufigen Verbleib zwischen den nackten Wänden der Villa gewährte, so hatte er ein Dach über dem Kopfe. Leichtlebig und gutmütig von Natur, traute er auch seinen Mitmenschen die grausame Pedanterie nicht zu, ihn ernstlich von sich zu stoßen, und tatsächlich besaß er die Unschuld, sich einer am Orte ansässigen Aktiengesellschaft zur Erzeugung von Schaumwein als Direktor anzubieten. Hohnvoll zurückgewiesen, unternahm er noch mehrere Versuche, im Leben wieder Fuß zu fassen, worauf er ohne Zweifel sogleich seine Schmause und Feuerwerke wieder eröffnet hätte. Als alles fehlschlug freilich, verzagte er; und da er außerdem wohl meinte, daß er uns anderen nur im Wege sei und daß wir ohne ihn leichter unser Fortkommen finden würden, beschloß er, ein Ende mit sich zu machen.
       Es war fünf Monate nach der Konkurseröffnung, und der Herbst fiel ein. Ich hatte seit Ostern den Schulbesuch endgültig eingestellt und genoß vorderhand eines freien Übergangszustandes ohne bestimmte Aussichten. Wir hatten uns, meine Mutter, meine Schwester Olympia und ich, in dem nur noch notdürftig ausgestatteten Eßzimmer versammelt, um unser jetzt äußerst karg bestelltes Mittagsmahl einzunehmen, und warteten auf das Familienhaupt. Als aber auch nach genossener Suppe mein armer Vater sich nicht wollte sehen lassen, entsandten wir meine Schwester Olympia, für die er stets eine zärtliche Schwäche gehabt, in sein Schreibkabinett, um ihn zur Mahlzeit zu rufen. Kaum jedoch hatte sie uns seit drei Minuten verlassen, als wir sie mit anhaltendem Gekreisch treppauf, treppab und ziellos wieder treppauf durch das ganze Haus rennen hörten. Mit kaltem Rücken und des Äußersten gewärtig, begab ich mich stehenden Fußes in meines Vaters Zimmer. Dort lag er mit geöffneten Kleidern auf dem Fußboden, seine Hand ruhte hoch auf der Wölbung seines Leibes, und neben ihm fand sich das blanke, gefährliche Ding, womit er sich in sein sanftes Herz geschossen. Unsere Magd Genovefa und ich, wir betteten ihn auf das Sofa. Und während das Mädchen zum Arzte lief, meine Schwester Olympia noch immer kreischend das Haus durchstörte und meine Mutter sich nicht aus dem Eßzimmer hervorzukommen getraute, stand ich, mit der Hand meine Augen bedeckend, an der erkaltenden Hülle meines Erzeugers und entrichtete ihm reichlich den Zoll der Tränen.

    Zweites Buch

    Erstes Kapitel

    L ange haben diese Papiere unter Verschluß geruht;
        wohl ein Jahr lang hielten Unlust und Zweifel an der Ersprießlichkeit meiner Unternehmung mich ab, in treusinniger Folge Blatt auf Blatt schichtend, meine Bekenntnisse fortzuführen. Denn obgleich ich auf den vorstehenden Seiten mehrfach versichert habe, daß ich diese Denkwürdigkeiten hauptsächlich und in erster Linie zu meiner eigenen Unterhaltung und Beschäftigung aufzeichne, so will ich nur auch in diesem Betreff der Wahrheit die Ehre geben und freimütig eingestehen, daß ich insgeheim und gleichsam aus dem Augenwinkel beim Schreiben doch auch der lesenden Welt einige Rücksicht zuwende und ohne die stärkende Hoffnung auf ihre Teilnahme, ihren Beifall wahrscheinlich nicht einmal die Beharrlichkeit besessen haben würde, meine Arbeit nur bis zum gegenwärtigen Punkte zu fördern. Da aber mußte ich mir denn die Frage vorlegen, ob wahrhaftige und bescheiden der Wirklichkeit sich anschließende Vertraulichkeiten aus meinem Leben mit den Erfindungen der Schriftsteller würden wetteifern können: nämlich um die Gunst eines Publikums, welches man sich durch so krasse Kunsterzeugnisse nicht übersättigt und abgestumpft genug

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