Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Bedeutung ein Bild zu machen wußte, so daß ich die lebhafte Neigung zu gewissen Vorstellungen und das durchdringende Vergnügen daran durch geraume Zeit für eine ganz persönliche und anderen gar nicht verständliche Eigentümlichkeit hielt, über die ihrer Sonderbarkeit halber lieber nicht zu sprechen sei. Da es mir an einer eigentlichen Bezeichnung dafür gebrach, so faßte ich diese Empfindungen und Eingebungen bei mir selbst unter dem Namen ›Das Beste‹ oder ›Die große Freude‹ zusammen und hütete sie als ein köstliches Geheimnis. Dank aber solch eifersüchtiger Verschlossenheit, dank ferner meiner Vereinsamung und dank drittens noch einem anderen Moment, worauf ich demnächst zurückkommen werde, verblieb ich lange in diesem Stande geistiger Unschuld, mit welchem die Lebhaftigkeit meiner Sinne so wenig übereinstimmte. Denn solange ich denken kann, nahm das, was ich ›Die große Freude‹ nannte, in meinem Innenleben eine beherrschende Stellung ein, ja seine Wirksamkeit hat offenbar weit jenseits der Grenze meines Gedächtnisses begonnen. Kleine Kinder näm lich sind wohl unwissend und in dieser Bedeutung auch unschuldig; daß sie aber unschuldig im Sinne wirklicher Reinheit und engelhafter Heiligkeit seien, ist ohne Zweifel ein empfindsamer Aberglaube, der einer nüchternen Prüfung nicht standhalten würde. Ich wenigstens habe es aus einwandfreier Quelle (die ich gleich des näheren bezeichnen werde), daß ich schon als Säugling, an der Brust meiner Amme, die eindeutigsten Zeichen von Gefühl an den Tag gelegt habe, – eine Überlieferung, die mir stets als höchst glaubhaft und für meine inständige Natur bezeichnend erschienen ist.
In der Tat grenzte meine Begabung zur Liebeslust ans Wunderbare; sie übertraf, wie ich noch heute glaube, das gemeine Ausmaß bei weitem. Früh hatte ich Gründe gehabt, dies zu vermuten, allein die Vermutung zur Überzeugung zu erheben war jene Person bestimmt, der auch die Mitteilung über mein gewecktes Verhalten an der Ammenbrust zu danken ist und zu der ich mehrere Jugendjahre lang in geheimen Beziehungen stand. Es war unser Zimmermädchen, Genovefa mit Namen, welches, in zartem Alter bei uns eingetreten, um mein sechzehntes Lebensjahr anfangs der Dreißiger stand. Tochter eines Feldwebels und mit dem Bahnhofsvorstand einer kleinen Station an der Strecke Frankfurt-Niederlahnstein von langer Hand versprochen, besaß sie viel Sinn für das gesellschaftlich Feinere und behauptete, obgleich sie niedrige Arbeit verrichtete, in Erscheinung und Gebaren eine Mittelstellung zwischen Magd und Jungfer. Mangels der notwendigen Glücksgüter stand ihre Heirat auch um diese Zeit noch in weitem Felde, und der großen, wohlgenährten Blondine mit den grünen, erregten Augen und den gezierten Bewegungen mochte die lange und immer noch unabsehbare Wartezeit oft genug verdrießlich sein. Dennoch hätte sie sich, um ihre besten Jahre nicht in Entsagung zu verbringen, niemals herbeigelassen, Zumutungen zu erhören, die aus niederen Sphären, von Soldaten, Arbeitern, Handwerkern, an ihre reife Jugend gerichtet wurden; denn sie rechnete sich nicht zum gemeinen Volk und verachtete seine Sprache und seinen Geruch. Etwas anderes war es mit dem Sohn des Hauses, der in dem Maße, als er angenehm heranwuchs, ihr weibliches Gefallen erregen mochte und dessen Zufriedenstellung für sie gewissermaßen eine häusliche Pflicht und außerdem eine Vereinigung mit der höheren Klasse bedeutete. So kam es, daß meine Wünsche auf keinen ernsthaften Widerstand stießen.
Ich bin weit entfernt, mich ausführlich über eine Episode verbreiten zu wollen, die zu gewöhnlich ist, als daß ihre Einzelheiten das gebildete Publikum fesseln könnten. Kurz, eines Abends, als mein Pate Schimmelpreester bei uns zu Nacht gespeist und später mehrere neue Vermummungen mit mir durchgeprobt hatte, kam es, nicht ohne Zutun Genovefa’s, auf dem dunklen Gange vor der Tür meines Mansardenstübchens zu einer Begegnung, die sich schrittweise ins Innere des Zimmers hinüberspielte und dort zu vollem gegenseitigen Besitze führte. Ich erinnere mich, daß an jenem Abend, nachdem mein »Kostümkopf« sich wieder einmal bewährt hatte, meine Niedergeschlagenheit, jene unendliche Trübsal, Ernüchterung und Langeweile, die mein Gemüt nach beendeter Maskerade zu befallen pflegte, besonders empfindlich gewesen war. Mein Alltagsgewand, in das ich endlich, nachdem ich so viele bunte Verkleidungen durchlaufen,
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