Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Paris abgehen oder zweifarben Tuch würde anlegen müssen, wiederum eine längere Warte- und Mußezeit vor mir liegen, wie sie dem höheren Jüngling zu stillem Wachstum so willkommen, so notwendig ist. Bildung wird nicht in stumpfer Fron und Plackerei gewonnen, sondern ist ein Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßigganges; man erringt sie nicht, man atmet sie ein; verborgene Werkzeuge sind ihretwegen tätig, ein geheimer Fleiß der Sinne und des Geistes, welcher sich mit scheinbar völliger Tagdieberei gar wohl verträgt, wirbt stündlich um ihre Güter, und man kann wohl sagen, daß sie dem Erwählten im Schlafe anfliegt. Denn man muß freilich aus bildsamem Stoffe bestehen, um gebildet werden zu können. Niemand ergreift, was er nicht von Geburt besitzt, und was dir fremd ist, kannst du nicht begehren. Wer aus minderem Holze gemacht ist, wird Bildung nicht erwerben; wer sie sich aneignete, war niemals roh. Und sehr schwer ist es hier wiederum, zwischen persönlichem Verdienst und dem, was man als Gunst der Umstände bezeichnet, eine gerechte und scharfe Trennungslinie zu ziehen; denn wenn allerdings ein wohlwollendes Geschick mich im rechten Augenblick in eine große Stadt verpflanzt und mir Zeit im Überfluß vergönnt hatte, so ist davon abzuziehen, daß ich völlig der Mittel entbehrte, welche die zahlreichen inneren Genuß- und Erziehungsstätten eines solchen Platzes erst eröffnen, und bei meinen Studien mich darauf zu beschränken hatte, gleichsam von außen mein Gesicht an das Prunkgatter eines lusterfüllten Gartens zu pressen.
    Ich oblag dem Schlafe zu jener Zeit fast im Übermaß, meistens bis zum Mittagstische, oft noch bedeutend darüber hinaus, so daß ich nur nachträglich in der Küche einiges Aufgewärmte oder auch Kalte zu mir nahm, zündete hierauf eine Zigarette an, die unser Maschinist mir zum Geschenk gemacht hatte (denn er wußte, wie sehr ich auf diesen Lebensreiz erpicht war, ohne ihn doch aus eigenen Mitteln ausreichend beschaffen zu können), und verließ Pension Loreley erst zu vorgerückter Nachmittagsstunde, um vier oder fünf Uhr, wenn das vornehmere Leben der Stadt auf seine Höhe kam, die reiche Frauenwelt in ihren Karossen zu Besuchen und Einkäufen unterwegs war, die Kaffeehäuser sich füllten, die Geschäftsauslagen sich prächtig zu erleuchten begannen. Dann also ging ich aus und begab mich schlendernd in die innere Stadt, um durch die menschenreichen Gassen des berühmten Frankfurts jene Lust- und Studienfahrten zu unternehmen, von denen ich oft erst im bleichen Frühschein und im ganzen mit vielem Gewinn zum mütterlichen Herde zurückkehrte.
    Nun seht den unscheinbar gekleideten Jüngling, wie er, allein, freundlos und im Getriebe verloren die bunte Fremde durchstreicht! Er hat kein Geld, um an den Freuden der Zivilisation im eigentlichen Sinne teilzunehmen. Er sieht sie verkündigt und angepriesen auf den Plakaten der Litfaßsäulen, auf eine durchdringende Art, die selbst den Stumpfsten zu Lust und Neugier aufregen könnte (während er sogar besonders empfänglich ist), – und muß sich begnügen, ihre Namen abzulesen und ihr Vorhandensein zur Kenntnis zu nehmen. Er sieht die Portale der Schauhäuser festlich geöffnet und darf sich dem Strom der Hineinwallenden nicht anschließen; steht geblendet in dem ungeheuren Licht, welches die Musikhallen, die Spezialitätentheater hinaus auf die Bürgersteige werfen und worin etwa ein riesiger Mohr, Antlitz und Purpurkleid gebleicht von der weißen Helligkeit, mit Dreispitz und Kugelstab märchenhaft aufragt, – und darf seinen zähnefletschenden Einladungen, seinen kauderwelschen Verheißungen nicht folgen. Aber seine Sinne sind lebhaft, sein Geist ist überspannt von Aufmerksamkeit; er schaut, er genießt, er nimmt auf; und wenn der Zudrang von Lärm und Gesichten den Sohn eines schläfrigen Landstädtchens anfangs verwirrt, betäubt, ja beängstigt, so besitzt er Mutterwitz und Geisteskräfte genug, um allmählich des Tumultes innerlich Herr zu werden und ihn seiner Bildung, seinem begierigen Studium dienstbar zu machen.
    Welch eine glückliche Einrichtung ist nicht auch das Schaufenster und daß Läden, Basare, Handelssalons, daß die Verkaufsstätten und Stapelplätze des Luxus ihre Schätze nicht engherzig im Innern bergen, sondern sie breit und reichlich, in erschöpfender Auswahl nach außen werfen, hinter prächtigen Glasscheiben auslegen und glänzend anbieten! Übertaghell sind an Winternachmittagen all

Weitere Kostenlose Bücher