Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Glücksmöglichkeiten halber, endgültig als Ziel und Wohnsitz erwählt worden.
Wie leicht, wie ungeduldig, geringschätzig und unbewegt läßt der ins Weite stürmende Jüngling die kleine Heimat in seinem Rücken, ohne sich nach ihrem Turme, ihren Rebenhügeln auch nur noch einmal umzusehen! Und doch, wie sehr er ihr auch entwachsen sein und ferner entwachsen möge, doch bleibt ihr lächerlich-übervertrautes Bild in den Hintergründen seines Bewußtseins stehen oder taucht nach Jahren tiefer Vergessenheit wunderlich wieder daraus hervor: Das Abgeschmackte wird ehrwürdig, der Mensch nimmt unter den Taten, Wirkungen, Erfolgen seines Lebens dort draußen geheime Rücksicht auf jene Kleinwelt, an jedem Wendepunkt, bei jeder Erhöhung seines Daseins fragt er im stillen, was sie wohl dazu sagen werde oder würde, und zwar gerade dann ist dies der Fall, wenn die Heimat sich mißwollend, ungerecht, unverständig gegen den besonderen Jüngling verhielt. Da er von ihr abhing, bot er ihr Trotz; da sie ihn entlassen mußte und vielleicht längst vergessen hat, räumt er ihr freiwillig Urteil und Stimme über sein Leben ein. Ja, eines Tages, nach Ablauf vieler für ihn ereignisreicher, veränderungsvoller Jahre, zieht es ihn wohl persönlich an jenen Ausgangspunkt zurück, er widersteht nicht der Versuchung, erkannt oder unerkannt, sich im erlangten fremden und glänzenden Zustande der Beschränktheit zu zeigen und, viel ängstlichen Spott im Herzen, sich an ihrem Staunen zu weiden – wie ich an seinem Orte von mir zu berichten haben werde.
Dem P. P. Stürzli in Paris hatte ich in artigen Formen geschrieben, daß er sich meinetwegen noch ein wenig gedulden möge, da ich nicht sogleich frei sei, die Grenze zu überschreiten, sondern die Entscheidung über meine soldatische Tauglichkeit abwarten müsse, – eine Entscheidung, die jedoch, wie ich aufs Geratewohl hinzufügte, aus Gründen, die für meinen künftigen Beruf belanglos seien, höchstwahrscheinlich in günstigem Sinne fallen werde. Schnell verwandelten sich die Reste unserer Habe in Frachtgut und Reisegepäck, worunter sich sechs prächtige Hemden mit gestärkten Brusteinsätzen befanden, welche mein Pate mir als Abschiedsangebinde überreicht hatte und die mir in Paris gute Dienste zu leisten bestimmt waren. Und eines trüben Wintertages sehen wir vom enteilenden Zuge, winkend alle drei aus dem Fenster gebeugt, das flatternde rote Schnupftuch unseres Freundes im Nebel verschwinden. Ich habe den herrlichen Mann nur noch einmal wiedergesehen.
Viertes Kapitel
G eschwind schlüpfte ich über die ersten, verworrenen Tage hin, die unserer Ankunft in Frankfurt folgten, denn nur ungern erinnere ich mich der kümmerlichen Rolle, die wir in einer so reichen und prächtigen Handelsstadt zu spielen verurteilt waren, und müßte besorgen, durch eine breite Schilderung unserer damaligen Umstände den Mißmut des Lesers zu erregen. Ich schweige von dem schmutzigen Hospiz oder Absteigequartier, welches den Namen eines Hotels, den es sich anmaßte, keineswegs verdiente, und wo meine Mutter und ich (denn meine Schwester Olympia war schon auf der Station Wiesbaden von unserem Wege abgezweigt, um in Köln bei dem Agenten Meerschaum ihr Glück zu versuchen) aus Sparsamkeitsrücksichten mehrere Nächte verbrachten: und zwar ich für meine Person auf einem Sofa, das von beißendem sowohl wie stechendem Ungeziefer wimmelte. Ich schweige auch von unseren mühseligen Wanderungen durch die große und kaltherzige, der Armut feindlich gesinnte Stadt, auf der Suche nach einer erschwinglichen Wohnstätte, bis wir endlich, in geringem Viertel, eine eben leerstehende ausfindig machten, die den Lebensplänen meiner Mutter für den Anfang ziemlich entsprach. Sie umfaßte vier kleine Zimmer nebst einer noch kleineren Küche, war im Erdgeschoß eines Hinterhauses mit dem Blick auf häßliche Höfe gelegen und entbehrte gänzlich des Sonnenscheins. Da sie jedoch nur vierzig Mark monatlich kostete und es uns schlecht angestanden hätte, die Mäkligen zu spielen, so mieteten wir sie auf der Stelle und bezogen sie noch desselbigen Tages.
Unendlichen Reiz übt auf die Jugend das Neue aus, und wiewohl dieses trübselige Domizil mit unserer heiteren Villa daheim auch nicht entfernt in Vergleich zu bringen war, so fühlte doch ich für meine Person mich durch eine so ungewohnte Umgebung bis zur Ausgelassenheit belebt und ergötzt. Rüstig und lustig stand ich meiner Mutter bei der ersten
Weitere Kostenlose Bücher