Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Bangladescher so ganz glauben sollte. Wie ich bald erfahren würde, hatte Ahmed einen Hang zum Ausschmücken.
In den kommenden Wochen bekam ich über meine Kontakte von der Fashion Week hier und da Jobs für unbekanntere Designer. Ich zog Models an und nahm Polaroids auf. Ich half bei Stegreif-Shows, Showcases und sogar bei TrunkShows; ich bügelte in Null Komma nichts fünfzig Pfund zerknitterter Kleider und steckte zwanzig Russinnen rein. Ehrlich gesagt war es ziemlich monoton, aber ich fand meine neuen New Yorker Kontakte aufregend. Jeder arbeitete, feierte oder schlief mit jedem. Designer, Stylisten, Maskenbildner, Agenten, Models, Fotografen, sie alle waren Teil eines großen, inzestuösen Apparats, der nur ein Ziel kannte: Schönheit zu kreieren.
In meiner neuen Bleibe in Bushwick konnte ich nun endlich damit beginnen, dieses Ziel auch mit meinem eigenen Unternehmen zu verfolgen: mit der Kollektion, die ich seit meiner Abreise aus Manila im Kopf hatte. Ich nähte nachts und an meinen freien Tagen und begann mit einem fedrigen weißen Stufenkleid, dessen Rock aus mattem Satin auf einem Unterrock aus weicher Wolle lag. Durch die Wollhaare unter dem Satin entstand eine natürliche Haftstruktur. Ich hatte das Gefühl, etwas völlig Neuartigem auf der Spur zu sein. 10
In Bushwick war ich umgeben von Künstlern und Musikern, die ums Überleben und um Anerkennung kämpften und einen Mittelstandshintergrund ähnlich meinem eigenen hatten. Das Viertel war eine Art Boheme-Barrio, ein Elendsviertel für Kreative. Wir tauschten Dinge auf der Straße und sammelten Fundstücke. Von einem Mann auf der McKibbin Street bekam ich für eine Stange Camel Lights einen Ganzkörperspiegel. Mein Arbeitstisch war einmal eine Haustür gewesen. Sie sah aus, als wäre sie von der Polizei eingetreten worden. Mir gefiel der Kontrast von rauer Urbanität und den eleganten Stoffen, die ich auf ihrer Oberfläche zuschnitt. Ich wuchs wirklich hinein, wissen Sie. Ich war nicht bloß irgendein Möchtegern-Hipster auf der Durchreise.
Am Abend erwachte das wahre Bushwick zum Leben. Vonallen Seiten hörte man Streitereien – von gegenüber, von nebenan, von oben oder unten: Männer beschimpften Frauen als Schlampen, Frauen Männer als Lügner und Betrüger, Kinder wimmerten, und sie alle wurden vorübergehend vom Heulen einer Sirene übertönt.
Man lernte, all das auszublenden.
Eines Abends jedoch, als bei dem Paar über mir gerade die Fetzen flogen, kam unerwartet Ahmed vorbei. Es war schon spät, als er klopfte, nach zehn, ich arbeitete seit dem Nachmittag und hatte nicht vor aufzuhören.
»Hörst du das da oben?«, fragte er. »Wie kannst du bei dem Krach arbeiten?« Er kam einfach herein.
»Sollen wir irgendwas dagegen machen?«
»Zum Beispiel? Wir können nichts dagegen machen. Irgendwann ruft sie die Bullen, so endet das immer. Oder sie schmeißt ihn raus, dann ist er ein paar Wochen weg. Aber was soll's, wenn sie ihn ja doch immer wieder reinlässt? Das geht schon seit Jahren so.« Interessiert sah er sich alles an. Die zerwühlten Baumwolllaken auf meinem Bett, meinen Laptop, das dampfende Bügeleisen auf meinem Arbeitstisch. Und die Schneiderpuppe mit dem Lagenkleid darauf.
»Mensch, du bist ja wirklich ein Modeheini. Bist du schwul?«
»Verzeihung?« Ich war so verblüfft über seine Direktheit, dass ich in die Defensive ging. »Nein«, antwortete ich. »Ich steh auf Frauen. Blondinen«, spezifizierte ich.
»Schon gut, war nicht so gemeint. Ich begegne in meiner Branche einer Menge Modeleuten, meist Männer und schwul. Versteh ich, dass du beleidigt bist. Ich mach's wieder gut. Da du ja Designer bist – ein sehr talentierter, das seh ich an dem hübschen Kleid da –, erlaube mir, dass ich dir runtergesetzte Stoffe zu absoluten Tiefstpreisen anbiete. Denk drüber nach, wenn es so weit ist.«
»Stimmt. Du bist Stoffhändler, hast du gesagt.«
»So was in der Art. Ich lass mich nicht gern in eine Schublade stecken. Ich hab meine Finger überall drin. Ich mach etwas Import-Export. Bringe Sachen von A nach B, ein bisschen abhängig von Variable X. Ich bin Geschäftsmann. Und ja, manchmal hab ich die Finger auch in der Mode drin. Dein Glück. Ich kenn eine Menge Leute in der Branche. Besonders in New York, London und Dubai, aber da bin ich nicht mehr willkommen. Eine Unstimmigkeit zwischen mir und der jüngsten Tochter des Scheichs – ein Missverständnis natürlich.«
Ahmeds Geschichten erschienen mir damals allesamt an den
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