Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hier war. Ich bin zuerst bei meiner Mutter eingezogen, in mein altes Kinderzimmer. Nach ein paar Wochen merkte ich, dass ich überall von einem weißen Lieferwagen verfolgt wurde. Ich bin einkaufen gegangen – zack, da war er. Und an einem Abend hat er direkt vor unserem Haus geparkt.«
»Haben Sie die Polizei angerufen?«
»Ich überlegte nicht lange, wer es war. Ich floh einfach aus Manila und fuhr nach Samar, auf die Insel, wo meine Mutter geboren wurde. Meine Familie hat dort immer noch ein Haus an der Bucht. Die Lage war mir in vieler Hinsicht vertraut. Dort habe ich dann auch Star kennengelernt. Sie hat mich gerettet, wissen Sie?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich war dort hingefahren und wollte nie wieder zurückkehren. Mein Vater hatte dort eine bangka , in der ich als Kind oft gespielt hatte. Ein ganz kleines Kanu. Damit wollte ich einfach immer weiter rauspaddeln.«
»Und, haben Sie es getan?«
»Nein, es war nicht mal mehr da. Das Meer hatte es fortgetragen. Der Hausmeister hatte ein Kanu, aber ich hätte mich zu sehr geschämt, ihm sein einziges wegzunehmen. Ich wollte es ihm ja bezahlen, aber er sagte, ich könne es mir so ausleihen. Er wollte partout kein Geld von mir annehmen. Da wurde mein Plan langsam zu kompliziert. Das Boot hätte einfach da sein müssen.«
»War Ihnen jemand auf die Insel gefolgt?«
»Nein. Kein weißer Lieferwagen, und auch sonst nichts Ungewöhnliches. Und dann lernte ich Star kennen. Sie trat in einem kleinen Club in Calbayog City auf, der meinem Cousin gehört. Am nächsten Tag sah ich sie von meinem Fenster aus am Strand. Ich ging hinaus und stellte mich vor. Sie blieb bei mir auf der Insel, und bald vergaß ich meinen Plan, ins Wasser zu gehen. Star wollte unbedingt, dass ich mit ihr nach Manila zurückkehrte, aber ich war dagegen. Dann an einem Abend, als wir gerade herumalberten und Perücken anprobierten – sie hat eine unglaubliche Perückensammlung –, sagte ich, okay. Doch ich traf einige Vorsichtsmaßnahmen.«
»Und hat es geklappt? Werden Sie jetzt nicht mehr verfolgt?«
»Ich habe den Wagen noch ein paar Mal gesehen, aber in der letzten Zeit nicht mehr. Ich nehme immer andere Autos. Eins zum Shoppen, ins Greenbelt oder in die Galleria, und für den Rückweg ein anderes. Manchmal auch eine andere Perücke. Dann können die mir nicht mehr folgen. Zu dem Treffen mit Ihnen bin ich auf Nummer sicher gegangen und habe drei Autos genommen.«
Boy setzte sich eine kurze braune Pixie-Perücke auf. Er strich sie sich vor dem Rückspiegel glatt.
»Wir sind da«, sagte er.
Im Club schauten wir zu, wie ein paar Durchschnitts-Drag-Queens aktuelle Top-Forty-Hits zum Besten gaben. Das Standardrepertoire jeder Karaoke-Bar. Von Trump war der Headliner des Abends. Für einen amerikanischen Touristen mittleren Alters war sie die perfekte Frau: groß und kurvenreich, mit olivbrauner Haut, einem perfekten Busen und langen Beinen. An diesem Abend war sie blond; am nächsten würde sie rothaarig sein. Sie war wunderschön in all ihrer Affektiertheit. Zwar hatte sie keine tolle Stimme, aber sie wusste sie einzusetzen. Sie triefte vor Sex. Zum Abschluss sang sie »Bésame Mucho«, und als Zugabe gab es »Girl, You’ll Be a Woman Soon«. Ab und zu warf sie Boy einen Blick zu. Während des Auftritts sprachen wir nicht viel. Wir schauten und lauschten. Hinterher schlug Boy vor, in einen privaten Karaokeraum zu gehen, wo wir uns unterhalten konnten.
Eine Mitarbeiterin führte uns zu Boys Lieblingsraum. Er war Stammkunde. Von Trump trat schon seit einigen Monaten in diesem Club auf. Sie füllte den Laden, und Boy kam einmal pro Woche und sah sich die Show an.
Wir kamen auf Boys Ex zu sprechen, Michelle Brewbaker, die bereits genannte Bühnenautorin, deren Erstlingswerk Im Bett mit dem Feind oder: Wie ich einem Terroristen verfiel für ein paar Wochen auf dem Broadway gespielt wurde, bevor die GEHORCHT-Bewegung es endgültig verdrängte. Wie man schon an Boys Schilderungen Brewbakers in seinem Bekenntnis sieht, hielt er sich nicht gerade zurück, wenn er über sie sprach. »Ich habe im Gefängnis viel über uns beide nachgedacht.«
Brewbaker beharrt darauf, dass der Titel des Stücks ironisch gemeint war. Sie habe keine große Aussage über Boys Fall machen wollen. Ihrer Einschätzung nach habe sie eine zeitgenössische Charakterstudie zweier Menschen im Netz der grassierenden Paranoia nach dem Elften September entworfen. Brewbaker wird heutzutage von vielen als Liebling der
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