Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
richtigen Leben bevor, und die Hauptrolle spiele ich – angeklagt wegen Kriegsverbrechen.
Ja, ich kannte ein paar ziemlich fiese Typen. Wobei ich derAnsicht bin, man muss alles im Zusammenhang betrachten. Wenn man mich freilassen soll, was ich oft genug gefordert habe, müssen die Tatsachen, die der krassen Fehleinschätzung meines Anklägers widersprechen, klar und chronologisch geordnet auf den Tisch. Mein Special Agent hat mir deshalb die Gelegenheit gegeben, mein wahres Bekenntnis niederzuschreiben, um es als offizielles Beweismittel im Verfahren gegen mich nutzen zu können. Ich habe einen Stift und einen Notizblock bekommen. »Es zählt jedes Detail. Lassen Sie nichts aus«, lautete seine Anweisung. »Beginnen Sie mit Ihrer Ankunft in den USA.«
Der New York Post zufolge, in der ich einst die Spalten der berühmten Seite sechs zierte – mein Name fett gedruckt neben denen von Zac Posen und Stella McCartney –, bin ich der »Fashion-Terrorist«. Ein feiger kleiner Einwanderer, der zum Amerika-Hasser und Geldgeber des Terrors geworden ist. (Mein Special Agent hat mir seit dem Moment meiner außerordentlichen Überstellung hierher ausgewählte Schlagzeilen gezeigt. Die Presse glaubt wirklich, sie hätten den Richtigen.) Dabei war ich von Anfang an eine Fiktion. Wir sehen nur, was wir sehen wollen, nicht wahr? Und wenn das, was wir sehen wollen, nicht da ist, erfinden wir es. Ta-daa! Wenn ich alle Bruchstücke zusammenfüge, die der Boulevardpresse über mein »Doppelleben« zu entnehmen waren, klingt das in etwa so:
Da er es satt hatte, die Einwanderer-Kackwurst zu sein, die immer wieder weggespült wird, aber einfach nicht verschwinden will, fasste Boy Hernandez schließlich Mut und zielte auf Amerika. Auf das Weiße Haus, das Empire State Building oder eine Boeing 747 von Newark nach Tallapoosa, Missouri. 1
Fettärschige, unverfrorene Stacheldrahtlügen.
Mein erster Tag in Amerika, der 13. September 2002, öffnete mir wie nie zuvor etwas in meinem Leben die Augen. Ich hatte keinerlei böse Absichten, schon gar nicht gegenüber der Stadt, die mich in ihre unvoreingenommenen Arme schloss, in ihre warme Septemberhaut einmummelte und mir einen dicken mütterlichen Schmatzer auf die Wange drückte. Muah!
New York City war eine Utopie.
Im Kontrast dazu stand Manila, meine Heimatstadt. Ich wuchs in einem reichen Vorort im Norden auf. Tobacco Gardens, Ecke Marlboro und Kools (im Ernst). Dabei waren wir keine der alten Tabakfamilien. Meine Eltern hatten eine Privatpraxis; wir gehörten bestenfalls zur Mittelschicht. Hernandez y Hernandez, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Mit siebzehn zog ich weg aus der Vorstadt und besuchte die Modeschule am FIM. 2 Dort merkte ich, wie mir meine eigene Stadt allmählich die Luft zum Atmen nahm. Die überfüllten Autobahnen, die Barrios, Schmutz und Smog riefen bei mir eineschlimme Akne hervor und den alles verzehrenden Wunsch, von dort wegzukommen, koste es, was es wolle. Außerdem war Manila kein Ort für einen ernst zu nehmenden Modedesigner. Man musste in New York oder London leben. Nach meinem Abschluss hielt mich nichts mehr. Wie heißt es doch so schön? Wo ich meinen Strick hinhäng, da ist mein Zuhause.
Am Ankunftsterminal des JFK bat ich den Taxifahrer, mich zum Fuß von Manhattan zu bringen, zum Battery Park. Ich hatte die Karten gut studiert! Es war immer mein Traum gewesen, an meinem ersten Tag in Amerika die Freiheitsstatue zu sehen, egal wie umständlich das von meinem Ankunftsort aus war. Sie sollte Teil meiner allerersten Erinnerungen sein. Wie in den Einwanderergeschichten, die ich als Teenager gelesen hatte. Oscar de la Renta, Diane von Fürstenberg usw. »Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren …« Ich war sentimental, ich weiß. Aber zu einer Wiedergeburt gehört doch auch eine richtige Taufe, oder? Lady Liberty zu besuchen, war meine Art, mich zum Amerikaner zu taufen, und zum New Yorker noch dazu.
Wir fuhren auf den Van Wyck Expressway (sprich: »Weik« – laut meinem Reiseführer), der uns durch eine hässliche Ecke von Queens führte. Dem Blick aus dem Fenster nach zu urteilen, war Queens ein trostloser Ort, ganz anders als die eigentliche Stadt, die ich bald kennenlernen würde. Bretterbaracken reihten sich an Industriegebäude, eine Auffahrt an die nächste. Erst als wir über den Brooklyn-Queens-Expressway rollten und an einem riesigen Friedhof mit Tausenden reich verzierter Grabsteine vorbeifuhren, merkte
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