Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hochgehandelt. Du weißt genau, was du tust. Du bist nicht nur ein exzellenter Designer, sondern ein genauso guter Geschäftsmann. Du wirst es weit bringen. Mein Entschluss steht fest. Zwei fünf!«
Ich wollte keinen Anzug entwerfen, und erst recht nicht zwei. Ich wollte an meiner Kollektion arbeiten. Aber ich würde deutlich besser verdienen als beim Bügeln auf den Trunk Shows irgendwelcher Newcomer, vor denen ich keinen Respekt hatte. Außerdem könnte ich mir die Zeit frei einteilen.
Ich schlug vor, an einem anderen Tag mit ihm über die Stoffe zu sprechen und dann vielleicht in der Woche darauf einen Termin zum Maßnehmen zu vereinbaren. Wohlgemerkt immer noch, um ihn abzuwimmeln. Ich glaubte nicht, dass er das Geld wirklich hatte. Und wie konnte man einem »Kanadier« vertrauen, der ganz offensichtlich aus Pakistan oder irgendwo dort aus der Gegend kam?
»Hör zu, Boy«, sagte er. »Es gibt nichts zu besprechen. Westlich und mit Klasse – der Rest ist dir überlassen. Du kommst gleich morgen früh zum Maßnehmen bei mir vorbei«, sagte er. »Ich hab W-LAN und einen Paninitoaster. Mir gehört das ganze Erdgeschoss hier im Haus.«
...
ÜBER ERINNERUNG
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Ach, dieses bekannte Wissen! Wenn ich mich einmal der Logik des amerikanischen Verteidigungsministers bedienen darf. 12 Dieses bekanntermaßen wissbare Wissen! Es steht mir im Weg wie ein Hindernis auf der Straße zur Wahrheit. Eine Straße, die ich tausende Male gegangen bin. Ich bin in einem Dilemma Zeit versus Wahrheit gefangen, verstehen Sie das nicht? Jetzt in dem Moment, in dem ich diese Fakten niederschreibe, fürchte ich, sie werden missdeutet und so ausgelegt, dass ich wie ein Lügner, Ignorant oder Schlimmeres dastehe – ein Lakai des Terrors, ein Verschworener der Verschwörer. Warum sollte ich solche Angst haben, wenn ich vollkommen unschuldig bin?
Weil, weil, weil.
Weil Ahmed Qureshi alias Punjab Ami, der Mann, der Stoffhändler, dem ich ganz naiv vertraute, wegen des Handels mit Materialien zur Bombenherstellung verhaftet wurde, ein paar Tage bevor man mich hierher ins Niemandsland brachte. Mein Vernehmer hat mir verraten, dass Ahmed wegen Beihilfe zu terroristischen Akten angeklagt wird. »Er wird verurteilt werden, und zwar bald«, sagte er während unserer heutigen Reservierung. (So nennen sie unsere gemeinsamen Sitzungen. Reservierungen. Ein befehlshabender Offizier, der CO, kommt einen Tag vorher zu mir und teilt mir mit, dass ich am nächsten Tag um soundso viel Uhr eine Reservierung habe. Ein Verhör hier muss man sich vorstellen wie den Versuch, einen Tisch im Babbo zu bekommen.)
Ja, in Bezug auf Ahmed hatte ich schon so einige Zweifel. Doch, ohne Frage. Aber während ich hier in meiner Zelle sitze und die Leerstellen der letzten Jahre zu füllen versuche, tauchen weitere Leerstellen auf. Was mir beim Verfassen dieses wahren Bekenntnisses unter anderem Probleme bereitet, ist die Erinnerung an die tatsächlichen Gedanken in dem Moment, in dem sie mir kamen. Ich kann mich unmöglich daran erinnern, was genau ich dachte, als ich es dachte. Welcher exakte Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich beschloss, meine Wohnung zu verlassen und wegen der beiden Anzüge kurz durch das heruntergekommene Treppenhaus zu Ahmed hinunterzugehen? Ich wünschte, ich könnte einfach wie Flaubert 13 in eine Makrone 14 beißen und, paff, würde mir alles wie ein unwiderstehlicher Traum wieder zuströmen. Aber das kann ich nicht. Dieses Bekenntnis besteht aus gedachten Gedanken – dem, wovon wir denken, wir hätten es damals, als wir es gedacht haben, gedacht. Es sind Rekonstruktionen, Zusammensetzungen geschlussfolgerter Gedanken und nicht die eigentlichen Gedanken selbst. Denn es wäre absolut unvorstellbar, sich exakt so an einen Gedanken zu erinnern, wie er ursprünglich war. Es sei denn, man hätte diesen französischen Wunderkeks, aber in der realen Welt geht es nicht zu wie in Büchern. In meiner Welt wird man am Boden festgekettet und mit Death Metal zugedröhnt, bis man sich ziemlich lebhaft an die Zeit im Bauch seiner Mutter erinnert unddaran, dass Dr. al-Zawahiri den Kaiserschnitt vorgenommen hat.
Mein Vernehmer versteht das alles. Er glaubt, damit ich zur Wahrheit vordringe – der Stoff, aus dem astreine Geständnisse sind –, muss ich die Geschehnisse immer und immer wieder durchleben, sie wie ein Video tausendmal in meinem Kopf abspielen und dann, sobald ich bei der genauesten Wiedergabe ankomme, wie einen Dämon ausstoßen. Deshalb
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