Bekenntnisse eines perfekten Ehemanns
guter Dinge, mein Gerschon. Allerdings wurde er leicht seekrank. Natürlich nur auf Schiffsreisen. Aber sonst: die Lebensfreude selbst, das können Sie mir glauben. Nie hätte er auf eine Fußballübertragung im Fernsehen verzichtet, nie! Von seinen Prinzipien ging er nicht ab. Fisch, zum Beispiel, aß er um keinen Preis.«
Es schien mir an der Zeit, höfliche Anteilnahme zu bekunden: »Wann haben Sie ihn denn verloren, Ihren Mann?«
»Vor achtzehn Jahren. Aber manchmal glaube ich, es wäre gestern gewesen. Das liegt wahrscheinlich an seiner starken Persönlichkeit. Es ging eine kolossale Ausstrahlung von ihm aus. Sie verstehen mich. Jeden Tag hat er die Zeitungen gelesen. Nicht nur gelesen - er hat sie gekauft. Jeden Tag. Obwohl wir gar nicht so reich waren. Aber das gehörte eben zu seinen kleinen Schrullen. Auch daß er nie im Bus gefahren ist. Immer im Taxi. Selbst wenn er kein Geld bei sich hatte. Einmal hätte ihn ein Taxifahrer deswegen fast erschlagen. Er hieß Silbermann. Der Taxifahrer, meine ich. Oder Silberstein? Na, ist ja egal. Gerschon kam damals mit einem schweren Schock nach Hause. >Bertha<, sagte er, >du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Schock das war.< Gott sei Dank ging es bald vorüber.«
Nachdenklich vertiefte ich mich in den Rest des Kalbsbratens. Gerschon nahm vor meinem geistigen Auge immer deutlichere Gestalt an. Dennoch wäre mir ein Themawechsel nicht unwillkommen gewesen. Ich versuchte, das behutsam anzudeuten: »Wissen Sie, wir dürfen nicht nur in der Vergangenheit leben ...«
Gerschons Witwe stimmte mir begeistert zu:
»Wie recht Sie doch haben! Was geschehen ist, ist geschehen. Genau mit diesen Worten hat es mein Gerschon immer gesagt. >Bertha<, hat er immer gesagt, >man muß in die Zukunft schauen. < Daraus ersehen Sie sein Temperament. Er hat sich mit allen Leuten herumgestritten. Auch mit der Regierung. Nur bei seinen Briefmarken - da war er wie ein kleines Kind. So eine schöne Sammlung! Und jetzt verrate ich Ihnen etwas: er hat die Marken nicht in einem Album aufgehoben, sondern in kleinen Pappschachteln. Was sagen Sie dazu?«
»Kaum zu glauben«, sagte ich dazu und fuhr nach einer kleinen Pause der Verblüffung fort:
»Aber jetzt habe ich Ihre Zeit schon allzu lange in Anspruch genommen.«
Das befürchtete Dementi erfolgte sogleich:
»Wo denken Sie hin! Ich bin es gewohnt, daß man sich für meinen Gerschon interessiert. Er selbst pflegte zu sagen: >Bertha, alles zu seiner Zeit.< Denn er war ein grundehrlicher Mensch, ehrlich gegen sich und gegen die anderen. Und er ging gerne ins Kino. Eigentlich gab es nichts, was er lieber tat. Außer Kreuzworträtsel lösen. Polnische. Ich meine, in der polnischen Zeitung.«
Ich unternahm einen kühnen Ablenkungsversuch: »Es sieht so aus, als ob der Herbst bald vorüber wäre. Dann kommt der Winter.«
»Mein Gerschon spürte das in den Knochen«, bestätigte seine Witwe. »Er spürte jeden Wetterumschlag im voraus und verließ sich nur auf sich selbst. >Bertha<, sagte er, >ich kümmere mich nicht um die Ärzte ...<«
Diesen Ausspruch hatte ich schon gehört. Gerschon begann sich zu wiederholen. Gerschon, um es offen auszusprechen, ging mir allmählich auf die Nerven. Vor allem deshalb, weil er jeden seiner Sätze mit »Bertha« anfing. Es war höchste Zeit, seinen Geist vom Tisch zu scheuchen.
»Was halten Sie von den bevorstehenden Gesprächen zwischen Israel und Ägypten?« fragte ich unumwunden.
Gerschons Witwe dachte gründlich nach, ehe sie antwortete: »Wenn mein Gerschon noch am Leben wäre, würde er sagen: >Bertha, ich wünsche beiden alles Gute.< Er sah die Dinge von einem höheren Standpunkt aus. Wenn es sein mußte, rasierte er sich auch zweimal am Tag. >Bertha<, pflegte er zu sagen, >was sein muß, muß sein.< So ein Mensch war er.«
Immer heftiger verlangte es mich, der Witwe Gerschons einen Satz zu entlocken, in dem Gerschon nicht vorkäme. Ich versuchte es auf jede erdenkliche Weise, ich schwenkte von der Politik zur Inflation ( »Bertha, Geld ist nicht alles« ), zum Sport ( »Gerschon konnte meilenweit zu Fuß gehen« ), zum fünfunddreißigjährigen Bestandsjubiläum des Staates Israel ( »Bertha, ich ziehe Hosenträger einem Gürtel vor« ) - es half nichts.
Ob sie ihren Mann auch schon zu seinen Lebzeiten immer zitiert hatte, wenn sie mit ihm sprach? »Bertha, hast du unlängst zu mir gesagt .«
Und warum, zum Teufel, hat das Schicksal gerade mich verurteilt, meinen Kalbsbraten in Berthas und
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