Bel Ami (German Edition)
Freunde ... verstehst du ... Dir doch nicht ... dir, seiner Freundin ... dir, meiner Gattin ... Der Unterschied ist sehr wesentlich und sogar ausschlaggebend vom Standpunkt der öffentlichen Meinung ... in den Augen der Gesellschaft ...«
Madeleine blickte ihm gleichfalls scharf in die durchsichtigen Augen, tief und sonderbar, als wollte sie in die unbekannten Tiefen seines Wesens eindringen, die man nur selten in flüchtigen Augenblicken erfassen kann, in den Augenblicken der Achtlosigkeit, der Vergeßlichkeit des Sichgehenlassens, die dann wie halbgeöffnete Türen sind, die in die geheimnisvollen Abgründe der Seele führen.
Sie versetzte langsam:
»Mir scheint doch ... daß, wenn ... daß man eine Erbschaft in dieser Höhe von ihm zu deinen Gunsten mindestens ebenso auffallend gefunden hätte.«
Er fragte heftig:
»Warum?«
»Weil« ... sagte sie, und nach kurzem Zaudern fuhr sie fort:
»Weil du mein Mann bist ... und ihn erst seit kurzer Zeit kennst, während ich schon sehr lange mit ihm befreundet war ... und weil sein erstes Testament, das noch zu Lebzeiten Forestiers abgefaßt war, doch mir galt.«
Georges ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und erklärte:
»Du kannst das nicht annehmen.«
»Gut,« antwortete sie gleichgültig, »also dann brauchen wir erst gar nicht bis Sonnabend zu warten. Wir können diesen Entschluß Herrn Lamaneur sofort mitteilen.«
Er blieb vor ihr stehen und sie sahen sich Auge in Auge. Sie wollten beide bis ins tiefste Geheimnis ihres Herzens eindringen und ihre innersten Gedanken ergründen. Es war ein Seelenkampf zweier Menschen, die Seite an Seite lebten und sich doch nicht kannten, die sich beargwöhnten, ausspürten und belauerten und nie in den tiefen, schlammigen Grund der Seele hineingeschaut hatten.
Plötzlich schleuderte er ihr mit dumpfer Stimme ins Gesicht:
»Gestehe doch, daß du die Geliebte von Vaudrec warst.«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Du redest Unsinn. Vaudrec hatte mir allerdings eine sehr große Zuneigung entgegengebracht ... Aber weiter nichts ... niemals.«
Er stampfte mit dem Fuß.
»Du lügst, es kann nicht möglich sein.«
Sie entgegnete ruhig:
»Es ist doch so.«
Er begann wieder auf und ab zu gehen, dann blieb er stehen:
»Erkläre mir dann, warum hinterläßt er sein ganzes Vermögen ausgerechnet dir?«
Sie tat gleichgültig und uninteressiert, als ob sie die Sache gar nichts anginge.
»Es ist sehr einfach. Wie du eben sagtest, hatte er keine Freunde außer uns, oder vielmehr außer mir, da er mich seit meiner Kindheit kennt. Meine Mutter war Gesellschafterin bei seinen Eltern. Er kam sehr oft hierher, und da er keine direkten Erben hatte, hat er an mich gedacht. Daß er mich etwas lieb hatte, ist sehr gut möglich. Aber welche Frau ist auf solche Weise nie geliebt worden. Daß diese stille und geheime Liebe ihn meinen Namen aufs Papier schreiben ließ, als er seine letzte Verfügung getroffen hatte, kann auch sein. Er brachte mir jeden Montag Blumen. Du warst doch darüber gar nicht erstaunt, und dir brachte er keine mit, nicht wahr? Heute vermacht er mir sein Vermögen aus demselben Grund und da er wahrscheinlich sonst niemanden hat, dem er es geben könnte. Es wäre im Gegenteil höchst sonderbar, wenn er es dir hinterlassen hätte. Warum? — Was bist du für ihn?«
Sie sprach so natürlich und so ruhig, daß Georges zu zaudern begann.
Er erwiderte:
»Das ist egal. Wir können die Erbschaft unter solchen Bedingungen unmöglich annehmen. Das würde den schlechtesten Eindruck erwecken. Alle Welt würde daran glauben, das Schlimmste vermuten und sich über mich lustig machen. Meine Kollegen sind sowieso schon neidisch auf mich und lauern auf die Gelegenheit, mich anzugreifen. Ich muß mehr als jeder andere auf meine Ehre und auf meinen Ruf bedacht sein. Ich kann unmöglich zugeben, daß meine Frau eine derartige Erbschaft von einem Mann annimmt, den das Gerücht schon zu ihrem Liebhaber gestempelt hat. Vielleicht hätte sich das Forestier gefallen lassen, ich aber nicht.«
Sie murmelte sanft:
»Also gut, mein Freund, wir nehmen es nicht an, daß macht bloß eine Million weniger in unserer Tasche aus, weiter ist ja nichts.«
Er ging noch immer auf und ab und begann laut zu denken; er sprach zu seiner Frau, ohne das Wort direkt an sie zu richten.
»Nun ja! eine Million ... um so schlimmer ... Er hat ja eben bei der Abfassung des Testaments nicht begriffen, was für einen Taktfehler und was für einen Verstoß
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