Bel Ami (German Edition)
erfüllt und sah ihn nicht. Er sagte sich: »Das einzig Gute und Schöne im Leben ist: die Liebe! Ein geliebtes Weib in seinen Armen zu halten — das ist das höchste Menschenglück auf dieser Erde.«
Welches Glück hatte der Tote gehabt, daß er eine so kluge und reizende Kameradin gefunden hatte. Wie mochten sie sich wohl kennengelernt haben? Wie war sie dazu gekommen, einen so mittelmäßigen und armen Burschen zu heiraten? Wie war es ihr gelungen, etwas aus ihm zu machen?
Und er dachte über alle Geheimnisse nach, die im Menschenleben verborgen sind. Er erinnerte sich an alle Gerüchte über den Grafen de Vaudrec, der sie angeblich ausgestattet und verheiratet hatte. Was würde sie nun anfangen? Wen würde sie heiraten? Einen Abgeordneten, wie Madame de Marelle meinte, oder einen jungen Mann mit Zukunft, einen neuen verbesserten Forestier? Hatte sie bestimmte Hoffnungen, Pläne, Absichten? Wie gern hätte er das erfahren! Aber warum zerbrach er sich den Kopf über ihre Zukunft? Er dachte darüber nach und es wurde ihm klar, daß seine Beunruhigung aus jenen dunklen, verborgenen Gedanken kam, die man vor sich selbst geheimhält und dann entdeckt, wenn man tief ins Innerste seiner Seele eindringt. Ja. warum sollte er nicht versuchen, sie zu erobern? Wie stark und unüberwindlich würde er an ihrer Seite sein? Wie sicher und schnell würde er vorwärts kommen, und wie weit würde er es bringen? Und warum sollte es nicht gelingen? Er wußte ganz genau, daß er ihr gefiel, daß sie mehr für ihn empfand als bloß Sympathie, daß sie eine Neigung für ihn hegte, wie sie zwischen zwei gleichgearteten Naturen entsteht und ebensosehr auf einem gegenseitigen Gefallen wie auf einem geheimen Einvernehmen beruht. Sie kannte ihn als klug, zäh und entschlossen, sie konnte zu ihm Vertrauen haben.
Hatte sie ihn denn nicht in dieser so schweren Lage zu sich gerufen? Und warum gerade ihn? Lag darin nicht schon eine Art Wahl, eine Art Geständnis? Vielleicht sogar Entschluß? Wenn sie gerade an ihn in dem Augenblick dachte, wo sie Witwe werden sollte, hatte sie da nicht vielleicht auch gedacht, daß er ihr ein neuer Lebensgefährte und Bundesgenosse sein sollte?
Eine ungeduldige Neugier quälte ihn, er wollte sie befragen, ihre Absichten kennenlernen. Übermorgen würde er abreisen, denn er konnte nicht allein in einem Hause mit dieser Frau wohnen. Er mußte sich beeilen, er mußte noch vor seiner Rückkehr nach Paris ihre Absichten geschickt und feinfühlig ergründen, er durfte sie nicht zurückkehren lassen, damit sie nicht auf Drängen eines anderen nachgäbe und sich endgültig binde.
Tiefes Schweigen herrschte im Zimmer. Man hörte nur das metallische, regelmäßige Ticken der Uhr, die auf dem Kamin stand.
»Sie müßten wohl sehr müde sein?« murmelte er.
»Ja,« sagte sie, »und vor allem tief traurig.«
Der Ton ihrer Stimme klang so seltsam in diesem düsteren Raum, daß sie beide erstaunt waren. Und sie blickten plötzlich das Antlitz des Toten an, als hätten sie erwartet, daß er sich bewegte, sie anredete, wie er es noch vor wenigen Stunden tat.
Duroy sprach weiter:
»Oh! Es ist ein schwerer Verlust für Sie und eine völlige Veränderung in Ihrem Leben, eine wirkliche Umwälzung Ihres ganzen Daseins.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, ohne zu antworten.
»Es ist traurig für eine junge Frau, so allein im Leben zu stehen, wie Sie jetzt«, fuhr er fort.
Dann schwieg er wieder. Sie sagte nichts. Er stammelte:
»Jedenfalls wissen Sie, welches Abkommen wir getroffen haben. Sie können über mich verfügen, wie Sie wollen. Ich gehöre Ihnen.«
Sie reichte ihm die Hand und sah ihn mit so sanften, traurigen Augen an, daß er bis ins Innerste seiner Seele ergriffen wurde.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie. »Sie sind überaus gut. Wenn ich für Sie was tun dürfte und könnte, ich würde auch sagen: Verlassen Sie sich auf mich.«
Er hatte ihre Hand ergriffen und behielt sie in der seinen. Er preßte sie mit dem heißen Verlangen, sie zu küssen. Endlich entschloß er sich dazu, näherte sie langsam seinem Munde und drückte die zarte, etwas heiße, parfümierte und fieberische Hand an seine Lippen. Als er dann fühlte, daß dieser zärtliche Freundschaftskuß etwas zu lange dauerte, ließ er die kleine Hand wieder fallen. Sie sank langsam zurück auf das Knie der jungen Frau, die in ernstem Ton versetzte:
»Ja, ich werde mich sehr einsam fühlen, aber ich will versuchen, tapfer zu sein.«
Er wußte nicht
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