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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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Geschichte und Philosophie? Das scheint mir genau das Gegenteil von dem zu sein, was Sie vertreten. Mir scheint, Sie handeln nicht nach Ihrer Überzeugung und segeln im Schlepptau derselben entarteten Krankheit, gegen die Sie mit Vehemenz auftreten. Vielleicht sind die Philister, die Sie so verachten, dem Ideal Ihres Handelns in vielerlei Hinsicht näher als Sie?«
    »Wie?! Sie bezeichnen ›Handeln‹, heldenhaftes Handeln, den sich aufopfernden, fanatischen, sieghaften Heroismus als die praktische Tätigkeit des Durchschnittsbürgers?
    Ich frage Sie, hätte ich anstelle des Geschichts- und Philosophiestudiums ein Studium der Militärstrategie wählen sollen? Ja, könnte ich hoffen, darin ein Betätigungsfeld zu finden? Jene heroische Betätigung, die ich im Sinn habe. Ich weiß, Sie sind überzeugt, dass wir in absehbarer Zeit keinen Krieg haben werden. Ja, wünscht den sich jemand?«
    »Junger Held, ich denke, ich verstehe Sie: Sie wählten den Beruf des Philosophen, um Ideen zu produzieren, die Menschen in den Kriegszustand des Geistes führen würden.«
    »Ja, mein Herr, in etwa verstehen Sie mich, ganz nicht, aber in etwa. Und ich weiß auch, Sie würden sich entrüsteter von mir abwenden, als wenn Sie erfahren würden, ich hätte Ihre Tochter verführt.«
    »Junger Mann, Sie sind frech und eingebildet.«
    »Ich weiß, mein Herr, ich mache diesen Eindruck auf Sie, und äußere deshalb meine Gedanken so offen nur im Privatleben, in das Sie durch diesen fiktiven Dialog versehentlich geraten sind.«
    Ach, wäre ich wie der junge Stendhal oder wie Descartes imstande gewesen, an einem Feldzug teilzunehmen, dann wäre ich untröstlich darüber, meine Jugend an der Universität verbracht zu haben. Bedauerte der junge Nietzsche nicht, dass er den deutsch-französischen Krieg nur als Krankenpfleger erlebt hat? Weder erstens noch zweitens noch drittens fühle ich Neid. Was war ihr Schicksal im Vergleich zu dem Napoleons?!
    War irgendein großer Mann der Geschichte Pessimist? Wie lächerlich die Frage. Wäre er es gewesen, wäre er nicht groß. Groß war er nur in Augenblicken, als Lebenserkenntnis seinen Geist erfüllte, nie, wenn er es willentlich sein wollte. Darüber hinaus war sein Geist voller Glanz und Heiterkeit.
    Das meint jedoch nicht jene aus einem geselligen Zusammenleben entstehende Heiterkeit. Es ist das halkyonische Glück der Einsiedler, der Entdecker neuer Länder, neuer Meere, neuer Ideen. Leidet der Einsiedler nie an seiner Einsamkeit? Gewiss, er leidet schon dadurch, dass es anders scheint, als es in Wirklichkeit ist. Aber seine einsame Insel kann man nicht als einen Ort der Trauer bezeichnen, sondern als eine Festung des Mutes. Er hasst die ihm von der menschlichen Gesellschaft aufgeladene Verstellung. Seine Verbitterung über diesen Zustand macht ihn zum Vulkan, seine Worte sind gefährliche Ausbrüche. Er kommt mit erschreckendem Gesicht von seiner von allen verlassenen Insel. Können wir uns das Glück dieses Einsiedlers nachdem gängigen Glücksideal vorstellen? Nein, wir müssen es mit dem Maßstab heroischen Lebens messen.
    Die Natur strebt danach, überragende Einzelwesen hervorzubringen: Philosophen, Heilige, Künstler, Staatsmänner und durch deren Vermittlung hat sie bestimmte Ziele erreicht, die die Gesellschaft unterstützt oder unterdrückt, je nachdem, wie viel Widerstand zur Entfaltung ihrer Kräfte erforderlich ist.
    ***
    Ethische Antiromantik:
    Machen wir uns nicht vor, die Motive unserer Taten seien erhaben. Einfache Selbstliebe ist ihre Motivation.
    Wie jedoch können wir von der Mehrheit der Menschen verlangen, sich dessen bewusst zu werden? Wie kann ich von den Damen der heutigen Gesellschaft verlangen, die idealisierenden Kostüme, die ihre Sinnlichkeit unterstreichen, abzulegen? Sie wären beleidigt, würde ich von ihnen so etwas Grobes verlangen, würde ich offen aussprechen, was ich mir denke und was freilich auch sie denken, und würde ich das nicht in poetische Worte kleiden.
    Frau G. hat abgelehnt, mein Zimmer zu betreten, obwohl sie meine Avancen, kämen sie »romantisch« daher, vielleicht mögen würde. Hoffen wir, dass Fräulein H. nicht zu viel »Romantik« verlangt. Vom »notwendigen Lebensirrtum« muss ich ihr jedoch etwas zumuten.
    Aber im Gegenteil: wann immer der »Romantik« der Frau ihre praktischen Ansprüche in die Quere kommen, führt das augenblicklich dazu, die trügerische Brille abzulegen. Männer bedienen sich ihrer zur Betrachtung viel subtilerer

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