Bel Canto (German Edition)
von einem fürstlichen Bett auf vier Säulen mit Himmel ist eure von der Natur und den jungen Ernestos ausgenutzte Torheit.
Die Kolíner Notabeln teilen die Neugier ihrer mehr oder weniger törichten Ehefrauen und Töchter nicht, sie würden gern wissen, welche Chancen Leone Olivo eigentlich mit seinem Sohn hat. Gott sei Dank, der Sohn ist in der Hauptstadt, er kann ihre Töchter nicht verführen, wie der alte Leone es mit ihren Ehefrauen getan hat. Welche Chancen? Keine.
Das sagt ihnen ihr Bürgermeister. Woher er das weiß? Das ist sein Geheimnis.
Woher hat es der alte Francesco erfahren? Ihn hatte doch der junge Olivo nicht in sein Schlafzimmer eingeladen!Aber jemand anders war dort, der es mit eigenen Augen sah, dieses berühmte Bett des jungen Olivo. Schau an, der alte Francesco! Am Ende hatte er die gleiche Geliebte wie der junge Olivo?! Der Bürgermeister lächelt nur; der alte und der junge Olivo ließen immer jeden wissen, sie seien Frauenkenner. Es gibt Leute, die nicht mit ihren Erfolgen prahlen, andere – aber die Hauptsache, um die es geht, ist nicht das Bett des jungen Olivo, sondern dass darüber kein unanständiges Bild, sondern ein Portrait Napoleons hängt! Der Bürgermeister kann das wirklich so sagen, als ob er es mit eigenen Augen gesehen hätte, kann es verbürgen; zweifelt vielleicht jemand? Nein.
Über Ernesto Olivos Bett hängt ein kleines Napoleonportrait.
Wisst ihr nun, liebe Freunde, warum Ernesto Geschichte studiert? Wäre es nicht natürlicher gewesen, zum Militär zu gehen, wenn er sich von seinem Vorbild leiten lassen will?
Er würde euch antworten, in seiner Zeit führen andere Wege an die Spitze des Heeres.
Ernesto ist verloren, wenigstens in den Augen der Kolíner Notabeln.
Inzwischen hatten wir in dem kleinen Kurort sein Zimmer betreten und fanden auf dem Tisch, den ein grünliches Tuch im Bierdeckelmuster schmückte:
Opera completa di Niccolò Machiavelli.
Dell’arte della guerra sette libri.
Nun wird vor dir eine monumentale Perspektive geöffnet, Leser, eine Perspektive, an der Künstler arbeiteten: Entwürfe zu leichten und mühelos transportablen militärischen, zum schnellen Angriff geeigneten Brücken.Mittel zur Trockenlegung und Vernichtung feindlicher Schützengräben. Pläne zur Zerstörung von Festungen, die schwerem Kanonenbeschuss Widerstand leisten. Eine Art Bombardement, das in den feindlichen Reihen Entsetzen, Unordnung und Verwirrung erregt. Sappen unter Schützengräben, schließlich unter Flüssen. Panzerwagen, die selbst die größte Feindeszahl zum Rückzug zwingen und dahinter kann die Infanterie vollkommen sicher und ohne Hindernis vorrücken. Entwürfe verschiedener Arten schöner und moderner Waffen. Erfindungen auf dem Gebiet der Bewaffnung der Menschen.
Dieses Bild ist auf eine kunstvolle Fläche geworfen, geschaffen aus in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand aufbewahrten Worten und aus der Tätigkeit der Putzfrau in dem kleinen Kurort. Wenn das Bild nicht so imposant ist, wie du dir wünschst, Leser, ist das nicht meine Schuld. Die Zeit, in der unser Held lebte, hat nichts Größeres geschaffen.
Wirf noch einen Blick auf die perspektivische Veranschaulichung der Konstruktion von Kriegsmaschinen und der Anatomie menschlicher Körper, die sie bedienen!
Auf die Ambrosianische Bibliothek, in der die perspektivischen Architekturprojekte, die Entwürfe von Brücken, Waffen, Flugzeugen, die Entwürfe von Gemälden schöner Frauen aufbewahrt werden, scheint die Sonne. In der Ambrosianischen Bibliothek arbeitet ein Pfarrer, der noch zu Ernestos und Giulias Lebzeiten Papst werden wird.
Von seinem Vorgänger hat Giulia einen gedruckten päpstlichen Segensspruch erhalten. Den hat Giulia ihr Liebhaber verschafft und sie wird den Segensspruch, ohne dass sie fromm gewesen wäre, achten, weil sie nie ganzihre Erziehung als Tochter aus gutem Hause vergessen wird.
Ich schaute den päpstlichen Segensspruch oft an, der neben dem Schrank hing, aus dem ich Giulia einen ihrer wertvollen Pelzmäntel herausnehmen sah, um ihn in die Pfandleihe zu schicken.
AUFZEICHNUNGEN EINES EHRGEIZIGEN JUNGEN MANNES
Lieber Leser, ich werde dir nicht einreden, ich hätte die Aufzeichnungen eines ehrgeizigen jungen Mannes im Geheimfach eines Schreibsekretärs gefunden. Sie sind mir weder durch einen Unbekannten geschickt, noch mir hinterlassen worden, weder erstand ich sie bei einer Bücherversteigerung, noch habe ich sie in einer Kiste gefunden, einer Witwe abgekauft,
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