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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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    Ich höre auf Giulias Stimme und frage mich, welches ihre Muttersprache ist, ich lausche ihrer durchlangjähriges Studium und durch die berühmtesten Gesangslehrer ausgebildeten Stimme; ich höre die von Professor Lehmann geschulte, von Lehrern des dramatischen Konservatoriums ausgebildete Stimme, damit sie den Akzent verliert, über den im Theater gelästert wurde: sie bömakele. Ich höre ihre gepflegte Artikulation, von der sie meint, sie könne im Tonfilm gut zur Geltung kommen. Indessen gibt sie Stunden für Gesang und für den richtigen Gebrauch des Atems und der Stimme.
    Die gefeiertsten Lehrer Europas bemühten sich, aus dieser leidlichen, aber relativ feinen und zerbrechlichen Stimme ein Wunder hervorzaubern, Giulia erzählt mir allerdings, dass sie an eine Rundfunkaufnahme denke. Sie habe ein paar Ideen, mit denen sie meine, das große Geld verdienen und berühmt werden zu können, sie sei überzeugt, der Erfolg, ihr großer Lebenserfolg warte auf sie.
    Ich höre ihre Worte, nehme die Stimme wahr und frage mich: Welches ist eigentlich die Muttersprache dieser veredelten Laute? Ich sehe ihre Bewegungen, die unauffällig geschminkten Lippen, sehe, wie sie damit die Laute bildet, die von ihrem schönen Gebiss zurückprallen. Ihre ausgebesserten Zahnhälse sehe ich in der Tat nicht. Sie ist mit Recht auf ihre durch die angesehensten europäischen Gesangslehrer herangebildeten Laute stolz, die vom weißen Elfenbein zurückprallen. »Das war Schmerzensgeld.«
    Das hat Giulia gesagt? Mit Stolz in der Stimme, den Schmerz überwunden zu haben. Welches ist die Muttersprache dieser Laute? Giulia erklärt mir mit ihnen die Familienverhältnisse, in die sie mich einführen wird.
    Übergehen wir, was sie von Frau Littmann erzählt, der man nur manchmal anmerkt, dass sie keine Dame ist. Sie war Stenotypistin, davor sogar Chorsängerin und Littmann hat sie geheiratet –
    Jemand hatte ihm eine alte Maschine zur Produktion von Erfrischungsbonbons angeboten, eine alte Maschine, die in einem Hofschuppen stand und der Mann, der sie Littmann anbot, war letzten Endes mit seiner Fabrik auf dem Hof gelandet. Littmann hat dafür einiges Geld hingelegt und sich auf die Produktion eingelassen. Es begann ihnen gut zu gehen. Er stellte Bonbons für Automaten her und nach zwei Jahren konnte sich Littmann schon einen Wagen kaufen, eine größere Wohnung mieten, Frau Littmann hatte ein Dienstmädchen und nach fünf Jahren einen Nerzmantel, Schmuck, eine Villa, wo wir sie besuchen fahren. Vor zwei Jahren wäre es beinahe zu Ende gewesen: Die öffentlichen Automaten, ihr Hauptgeschäft, wurden verboten, und nur weil Littmann so geschickt ist, gelang es ihm, sich die Abnahme durch große Handelshäuser zu sichern.
    Giulia erinnert sich, wie Littmann auf einem schmutzigen kleinen Hof mit einer alten Maschine anfing. Frau Littmann begann schon damals von der »Fabrik« zu reden, die aber nur aus einer alten Maschine auf dem versteckten kleinen Hof bestand. Das muss man ihm lassen, er ist ein guter Geschäftsmann. Heute kauft er neue Maschinen für Zehntausende Dollars. Die Littmann vergisst, dass Giulia sie schon kannte, als es in ihrer neuen Stellung noch nicht so gut ging, als sie sich mit Giulia über alles beriet, wie sie sich anziehen, sich benehmen, wie sie sprechen sollte. Sie hat eine schöne Stimme, dünn, leise, die unter Giulias Führung so weit heranreifen kann, dass sie ganzangenehm zu hören sein wird. Blanche (nämlich Frau Littmann) hat Temperament, aber sie darf nicht denken, sie sei eine Künstlerin. Sie schnappte von Giulia viel auf –
    Frau Littmann hat uns mit ihrem Wagen am Bahnhof empfangen. In einem grünen Kleid, im grünen Turban, mit roten Nägeln. Sie und Giulia übertreffen sich, um durch Bewegungen, Worte, Benehmen ihren Lebenserfolg vorzuführen.
    Ich frage mich, ob Giulia von Frau Littmann das Rezitativ: Jugend, Kraft, Frische, Erfolg, Persönlichkeit erlernt hat oder umgekehrt. Beide sind nicht mehr jung. Kraft? Ich glaube, beide müssten Kraft aufbringen, um heute die Meeresluft atmen zu können – Erfolg?
    Vor dem Essen hat uns Frau Littmann einen Cocktail gereicht – einen Havanna-Cocktail –, und wenn sie und Giulia ein wenig trinken, lockert sich ihr einwandfreies Benehmen etwas: sie sind gewillt, sich mit kritischer Ironie zu beurteilen und können voreinander ihre lächerlichen Seiten nicht ganz verbergen. Beim Essen aber spielen sie wieder ihre gesellschaftlichen Rollen.
    Frau Littmann erzählt

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