Bel Canto (German Edition)
Mitwirkung von Lazsky gab. Wer ist Lazsky?
Ernesto hatte Giulia offen gesagt: ein Fiedler! Giulia hatte nicht übel Lust aufzustehen und den Tisch zu verlassen. Sie wollte im Restaurant keinen Anstoß erregen.
Matteo erinnert sich: an diesem Tag waren Wahlen. Derselbe Tag, als Matteo nachts Ernesto getroffen hatte. Matteo ist einer jener Menschen, die ein genauesGedächtnis haben und sich erinnern, z.B. wie sie vor acht Jahren Ostern verbracht haben.
Matteo erinnert sich ganz genau, natürlich erinnert er sich: denn an diesem Tag spielten sie im Klub nicht Karten, sondern sprachen nur von den Wahlen. Professor Falagna hat ein paar seiner treffenden Beobachtungen vorgetragen, die morgen in der ganzen Stadt publik sein werden. Carli hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Das bedeutete, alle Hoffnungen Ernestos waren endgültig begraben. War ihm das damals schon bewusst?
STORIA
Die Zeit des weiblichen Geschlechts, die Zeit, die Ereignisse und Geschichte zur Welt bringt, trägt den Namen HISTORIE. In unserer Sprache ist sie entschieden weiblichen Geschlechts; dieses fügt der Zeit Lockenhaar, Busen, Hüften hinzu; und wegen seiner Bedeutung trägt der Lockenkopf einen Helm, die Brust einen Harnisch, die Frauenhüfte eine Schwertscheide, die Hände tragen Fahne, Fackel, Schwert. Oh, diese Sybille zieht eine Kriegsausrüstung mit der gleichen weiblichen Gleichgültigkeit und Entschlossenheit an, mit der sie einen neuen Hut oder anderen weiblichen Schmuck trägt.
Die Gesellschaft ist ihr Element. Die Gesellschaft ist das Element der Frau Storia. Vielleicht, weil sie Witwe ist (zum wievielten Male?), vielleicht, weil sie einen heranwachsenden Sohn verloren und all ihr Interesse auf das Gesellschaftsleben verlagert hat. Man weiß zwar von ihr, dass sie Liebhaber hatte und hat, aber wer kennt sie alle, wen schert es? Sie sind oft so unscheinbar, man bemerkt sie kaum. Wenn sie überhaupt im Salon Frau Storias anwesend sind, achtet niemand auf sie und Frau Storia widmet sich vollkommen ihrer gesellschaftlichen Obliegenheiten. Ihren Liebhaber wird man vielleicht nur daran erkennen, dass ihn Frau Storia in einem Diminutiv anredet, und Franceschetto, Micheletto sagt; diese Liebhaber sind jung, viel jünger als Frau Storia. Erstaunlicherweise macht niemand, nicht einmal die Frauen, über Albertino Bemerkungen, niemandvergleicht sein Alter mit dem Alter Frau Storias, niemand beruft sich auf Zeugen, niemand zählt, wie oft Frau Storia die Haarfarbe gewechselt hat. Weil man spürt, sie gibt ihnen Gelegenheit, ihre Kleider, ihr Lächeln, ihre Blicke zu zeigen, lässt sie in ihrem Salon auftreten, ermöglicht es ihnen, sich dort mit künftigen Ehemännern oder Liebhabern zu treffen. Deswegen durchforsten sie aus Dankbarkeit nicht ihr Verhältnis zu Franceschetto, Nicoletto, Alberto, fragen nicht, wer eigentlich Franceschetto ist, welche Beschäftigung Nicoletto hat, wie alt Albertino ist. Frau Storia ist einfach unentbehrlich für sie, für alle, und aus Dankbarkeit – wer weiß, vielleicht auch aus Gleichgültigkeit – interessiert sich niemand für ihr Privatleben. Geschieht es, dass jemand sie auf dem Land nur in Gesellschaft eines gewissen Franceschetto antreffen wird, wird jeder nur denken, vielleicht gibt es jetzt in der Stadt keine gesellschaftlichen Höhepunkte. Die Frauen werden möglicherweise bemerken, Frau Storia hat wieder eine neue Haarfarbe, aber hier enden die bösen Zungen und Verleumdungen. Niemand kümmert sich um das Privatleben Frau Storias. Alle reden nur über ihre Unterhaltungsabende, Einladungen, über ihre Teilnahme am Gesellschaftsleben. Sie bietet den jungen Mädchen Gelegenheit, ausgiebig zu tanzen, und mit den ortsansässigen Männern frei und ungezwungen über ihre Angelegenheiten zu sprechen. Sind ihr nicht alle zu Dank verpflichtet?
Wollen Sie, dass ich Ihnen noch mehr über sie erzähle? Von ihren Männern hat sie große Namen geerbt und nutzt sie zur Aufrechterhaltung ihres Gesellschaftslebens. Ihre städtischen Salons sind den diplomatischen Salons in den Hauptstädten Europas zum Verwechseln ähnlich. Die Sessel sind dort mit demselben Stoff bezogen wie die Sesseldes italienischen Gesandten in Madrid, es gibt dieselben Teppiche wie in der deutschen Gesandtschaft in Rom, dieselben Vasen wie in der japanischen Gesandtschaft in Berlin, dieselben Fotografien wie in der Schweizer Gesandtschaft in Budapest.
Glänzende Persönlichkeiten der Gesellschaft in ihrem Salon zu empfangen, schöne und kluge
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