Bel Canto (German Edition)
uns, dass ihre Köchin Slowakin und ihr Stubenmädchen Tschechin sei. Wir essen Gans. Herr Littmann wird erst nachmittags kommen und Frau Littmanns Sohn isst, wenn Gäste bei Tisch sind, nicht mit den Erwachsenen.
Frau Littmann zeigt uns ihr Haus. Giulia ist auf ihre Freundin stolz, unterlässt es aber nicht, mich vielsagend anzuschauen, so oft wir auf etwas stoßen, was nach Giulias Meinung verrät, dass Frau Littmann keine Dame ist.
Die gesamte Einrichtung des Hauses ist die vertraute Kulisse, vor der Frau Littmann und auch Giulia ihre Rollen alsinteressante Frauen spielen können. Es fehlt ihnen nur ein Filmszenarium, um zur Geltung zu kommen. Giulia erzählt uns davon, sie wolle ein Szenarium schreiben – es scheint, Littmanns sind schon an Giulias künftige Erfolgspläne gewöhnt, sie nehmen keinerlei Anstoß daran. Sie glauben ihnen so weit, dass Frau Littmann bei Giulia singen lernt. Giulia sagt, ihre Schülerin solle etwas für uns singen. Frau Littmann wehrt sich: singen könne nur Giulia. In diesem Augenblick stimmen beide Freundinnen überein, ihre Eitelkeit eint sie: Frau Littmanns Stimme ist durch Giulias Vermittlung mit den besten europäischen Methoden vertraut: sie artikuliert untadelig mit den geschminkten Lippen, der Blasebalg Lunge drückt die Luft in die alabasterne Orgel eines schönen, gepflegten Gebisses –
Frau Littmann führt uns in das Badezimmer, es ist im Vergleich zum Übrigen etwas zu luxuriös eingerichtet, Giulia vergisst nicht, mich darauf aufmerksam zu machen: Das Bad ist ganz in Grün und Schwarz gehalten, von der Wanne bis zu Seife und Waschlappen, in Schwarz und Grün.
Im Gespräch Frau Littmanns mit Giulia taucht oft das Wort »Persönlichkeit« auf: dieser oder jener, diese oder jene, entbehren der »personality«.
Mir fällt ein, dieser Raum ist der Versuch einer technischen Errungenschaft, sein Grün und Schwarz sollen sich dem optischen und akustischen Effekt als Farbe beigesellen.
Ich lausche, wie Frau Littmanns Laute von den Formen der Porzellanmasse abprallen, höre, wie sie, eingesperrt in eine ungewöhnliche Apparatur, veredelt, mit eigenartiger Anmut durch sie hindurchströmen. Ich warte auf dasErscheinen aller Farben, nicht nur grün und schwarz. Mir ist, als stehe ich in einem Raum, wo eine Hauskulisse aufgestellt wird, die Einrichtungskulisse eines Wohnzimmers, eines Speisezimmers, von Schlafzimmern, eines Treppenhauses und sonstiger Nebengelasse. Die Schauspieler werden vorbereitet: Herr Littmann, seine Schwester, die vom Baden kommt, und die übrigen Nebenrollen: die slowakische Köchin, das Stubenmädchen, Littmanns Sohn, von dem Giulia behauptet, er wäre nur geboren worden, weil Littmanns einmal auf einer Reise außerhalb Europas –
Hier steht irgendwo eine optische, akustische, farbige und plastische Apparatur, die aus dem Leben ein Szenario machten wird, vielleicht das, von dem Giulia sagt, das werde sie schreiben. Das große Atelier an der Meeresküste soll den durch die berühmtesten Gesangslehrer ausgebildeten und aus Europa hierher übertragenen Edel-Laut festhalten.
Könnten Sie sehen, was ich sehe: Giulia, ihre Freundin, deren Mann, seine Schwester, die gerade vom Baden zurückgekommen ist: sie beschwert sich, dass man von ihr eine Gebühr für den Liegestuhl haben wollte. Sie würden Giulia hören, wie sie zu Herrn Littmann, der sich über ein Loch im Strumpf beschwert, sagt: » Wie viel Weiber hast du im Haus?! « (Herr Littmann lebte viele Jahre in Wien.)
Nur eine kleine technische Einrichtung – und die optische und akustische Kulisse würde vor Ihnen aufleben. Sie würden ein Wohnzimmer sehen. Den Eisschrank, in dem Frau Littmann den gefüllten Fisch hat, den wir zu Abend essen werden.
Es fehlt wenig und wir würden die edel gebildeten Laute zu hören bekommen, die durch den Einfluss des berühmtenCorellis und Professor Lehmanns in schönen Worten zum Klingen gebracht werden, Gesang.
»Zu welchem Lehrer würden Sie mir raten?«, hat Julinka Emma Destinn gefragt. »Corelli oder Professor Lehmann?«
Destinns Vater selbst hat Julinka zu der berühmten Sängerin gebracht. Julinka hatte ihn für sich eingenommen und er ihr versprochen, sie zu seiner Tochter zu bringen, damit sie ihre Stimme prüfe.
Er wartete auf sie vor dem Hotel »Zum Schwarzen Pferd«. Julinka kam in einem geschmückten Hut, mit zwei blauen Federn, die das Blau ihrer Augen steigerten. Sie war vor der Begegnung mit der berühmten Sängerin, vor der Prüfung ihrer
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