Bel Canto (German Edition)
Frauen dort zu haben, ist der Ehrgeiz Frau Storias; sie liebt, was man Gesellschaft nennt. Gleich herzlich lädt sie Rivalen und Gegner ein. Weiß sie überhaupt, dass man General Bardi einst den »heldenhaften Fähnrich Bardi« nannte?
Frau Storia sieht nur sein Gesicht, blass zu Beginn des Abends und nach und nach durch den genossenen Alkohol gerötet. Bardi hat gerade seiner Partnerin ein Gläschen Kognak eingegossen und trägt ihr einen Vers vor, den er selbst gedichtet hat. Bardi ist durch seine Vorliebe für Poesie bekannt. Er gießt sich ein Gläschen ein, dann der Dame zu seiner Rechten, füllt frohgelaunt auch das Gläschen zu seiner Linken. Das ist das Glas Ernestos. Wird Bardi das bemerken, wird sich sein Gesicht etwas verdüstern. Er mag Ernesto nicht, obwohl ihm Ernesto die Ehre erweist. Bardi will Verse vortragen und wünscht nicht, in ein Gespräch mit Ernesto verwickelt zu werden, will nicht hören, was er als Ernestos »Geprahle« über das Militär bezeichnet.
Frau Storia könnte sich erinnern, wann Bardi das ersten Mal bei ihr erschien: jung, schlank, mager, eine etwas niedrige Stirn, ein rundes Gesicht, wettergebräunt durch den Aufenthalt an der Luft und das Armeeleben, mit dem Ruf eines Helden. Es war kein Wunder, dass ihn alle jungen Mädchen umschwärmt haben und er ein Jahr nach seinem Eintritt in den Salon Frau Storias verheiratet war.Heute ist sein rundes Gesicht aufgedunsen. Jeder weiß, dass er trinkt.
»Heldentum ist Sache der Soldaten, Klugheit die der Politiker. Armee und Heerführer reichen nicht aus, wenn Staatsmänner nicht durch ihre Kunst die Möglichkeit des Sieges vorbereiten. Die Aufgabe des Staatsmanns ist erstens: die Situation zu beurteilen, zweitens: die Entwicklung vorherzusehen und mit allen Mitteln dem Ziel zuzustreben. Bei Erfolg werden sie geehrt, bei Misserfolg verdammt.« (Sagt Ernesto.)
Frau Piccinino, dick neben ihrem ebenso dicken Ehemann sitzend, hat einen Seufzer ausgestoßen: ihr Mann hat ihr in ihrer Ehe beigebracht, nicht das Ziel, sondern die Moral heilige die Mittel. Ernesto ist ihrer Meinung nach unmoralisch.
Frau Piccinino, blass, dick neben ihrem rötlich dicken Ehemann, verdammt einträchtig mit ihm die Mittel ungeheiligter Moral. Leider ist Frau Piccinino unfruchtbar. Schade, dass manchmal die Moral die Mittel nicht heiligt.
Frau Riario hat Ernesto angelächelt, die auf Liebesabenteuer erpichte Frau deutet das Prinzip, »das Ziel heilige die Mittel« auf ihre Art: das Ziel heiligt auch ihre Mittel.
Der ehrgeizige junge Mann hat gesagt: Stärke wird siegen.
Der ehrgeizige junge Mann in der japanischen Gesandtschaft in der Schweiz. Inzwischen ist General Bardi der Gruppe bei der großen chinesischen Vase nähergekommen: vielleicht schäme er sich, sich in Gesellschaft einer Flasche Kognak und von Frau Riario aufzuhalten, und sah es als seine Pflicht an, seine Meinung zu sagen: Der Geist wird siegen! (Was kann die Stärke des Geistes sein? Aber Sie wissen, was General Bardi ungefähr denkt.)
Die Gruppe der Herren hat sich zur chinesischen Vase zurückgezogen (behutsam, um sie nicht herunterzuwerfen). Bardi wiederholte auf Art der Betrunkenen: Der Geist wird siegen! Die Herrengruppe hat achtsam die wertvolle chinesische Vase umringt: Nachsichtig haben sie Bardis Behauptung aufgenommen. Wer würde ihm widersprechen: Alle wissen, Bardi verhielt sich im Krieg wie ein Held und ist in Friedenszeiten fehl am Platz: Er trinkt und seine Frau betrügt ihn schamlos.
Die Gruppe der Herren in der japanischen Botschaft hat achtsam die chinesische Vase umringt: Stärke wird siegen, oder der Geist?
»Vertrauen in das Heer und die tatsächliche Militärmacht.«
»Tat gegen bloße Diplomatie.«
»Gerechtigkeit, Fortentwicklung der Menschheit, des Einzelnen und der Völker.«
Eine Stimme nahe der wertvollen chinesischen Vase sagte: » Virtù! «
Er wiederholt das Wort einige Male, in verschiedenen Sprachen. Im Ohr des ehrgeizigen jungen Mannes. In der Nähe der wertvollen chinesischen Vase, in Berlin, in Rom, in Bern, in Madrid. Im Ohr des ehrgeizigen jungen Mannes im Salon Frau Storias, nahe der großen chinesischen Vase, ein unermesslicher historischer und künstlerischer Wert, in Rom, in Paris, in Tokio.
»Ich kannte Ernesto Oliva, als ich in Rom war.«
»Er war ehrgeizig.«
»Er überschätzte sich.«
»Wer kennt eigentlich die Geschichte?«
»Die Olivas?«
EIN GESUNDES GEBISS
Giulia hat ein schönes, gesundes Gebiss und wird es sich bis ins Alter
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