Bel Canto (German Edition)
bewahren. Abmagerungskuren, Alkohol, liederliches Leben werden ihm keinen Schaden zufügen.
Als wir Konfekt für Frau Littmann kaufen gingen, erzählte mir Giulia, wie man in Amerika die Zähne in Ordnung bringe. Um zu zeigen, wie ein amerikanischer Zahnarzt die Zahnhälse ausbessern könne, fletschte sie ein wenig die Zähne. Das sei Schmerzensgeld, Giulia ließ sie sich alle auf einmal ausbessern, vorher hatte sie kein Geld dazu.
Es war ein schöner Morgen. Auf den Straßen war es, mehr als sonst, sonntäglich leer, weil Montag »Memorial Day« ist. Wir verließen nach dem Frühstück das Hotel und Giulia hatte vergessen, dass ich eigentlich nicht erfahren sollte, dass sie manchmal kein Geld hatte, um zum Zahnarzt gehen zu können.
Aber vielleicht war ihr doch aufgefallen, dass sie mir etwas verraten hatte, was sie nicht sollte und deshalb ein Taxi winkte. Wohl um das vorherige Geständnis auszugleichen, hat sie mich tadelnden Tons erinnert, dass wir nicht vergessen dürften, Frau Littmann Konfekt zu kaufen. Das war ein kleiner Vorwurf an meine Adresse und eine Belehrung, obwohl ich vielleicht nie in einer finanziellen Situation war, die mich nötigte, den Zahnarztbesuch aufzuschieben, doch ich habe diese wirklich geschliffenen Umgangsformen, wie Giulia sie hat, nie erlangt.
Auch im Süßwarengeschäft zeigt sie mir, wie eine große Dame sich benimmt, wenn sie einkauft; ich weiß nicht, auf wen sie größeren Eindruck machen wollte, auf mich oder auf die Verkäuferin? Ich kenne ihre Art gut. Das Silber und Gold des Stanniols, die schönen bonbonfarbenen Kulissen, das ist die Bühne bei Ronacher, das ist das Kabarett Femina, das ist ihre Rolle! Sie zeigt mir – beim Einkauf von Konfekt für die Freundin, die uns zum Sonntag in ihre Villa eingeladen hatte – einen Teil ihres Lebenserfolgs.
Jetzt fahren wir mit der Untergrund-Bahn zum Bahnhof.
Im Wagen erzählt mir Giulia von einem Harry, der in sie verliebt ist oder war. Sie überlegt und will, dass ich mit ihr überlegen, welches möglicherweise die psychologischen Gründe waren, die Harry veranlasst haben, sich schon einen Monat nicht zu zeigen. Giulia erklärt nämlich überaus gern das Verhalten ihrer Liebhaber mit psychologischen Gründen. Sie schildert mir haarklein, wie sie zuletzt zusammen (mit Harry) auf der Cocktailparty ihrer Freundin Frau Littmann in einer Zimmerecke saßen. Giulia erzählt, wie deren Persönlichkeit Harry beeinflusse, wiederholt mir die Worte, die er ihr gesagt habe und will, dass ich aus ihnen das Verhältnis Harrys zu ihr zusammensetzen. Sie verhält sich dabei geschickt, temperamentvoll und gleichzeitig abstrakt, wie moderne Romanautoren. Wie sie gibt sie sich einfach ihren Eindrücken hin und denkt an ihren Erfolg.
Ich weiß, sie wird jetzt bestimmt auf Komplexe, auf das Unterbewusstsein zu sprechen kommen. Sah ich nicht neulich zwischen den Silberverschlüssen ihrer Toilettengarnitur Geschlecht und Charakter auf ihrem Tischchen, noch bevor diese Dinge allgemein in Mode kamen?!
Giulia schildert mir, dass sie, als sie Harry kennenlernte, ein schwarzes Samtkleid trug. Sie sah, dass Harry die Augen nicht von ihrem Rückenausschnitt wenden konnte, von ihren Perlen –
Es sind falsche, aber ihre Haut ist wie echte Perlen; wie oft reflektierten Perlen im Wert von Hunderttausend, mit denen sie Schulden in Wien beglich, das salzige Perlmutt atmender Haut. Es ist kein Wunder, dass Harry vom Ausschnitt ihres Kleides fasziniert war. Giulia geht alles durch, was sich damals in ihren Gefühlen und Gedanken abgespielt hat.
Ich merke, wie im Gespräch mit mir ihre tschechische Aussprache wieder besser wird. Ich bemerke, sie übersetzt das Wort »absolutely« als absolut. Einige geläufige Sätze spricht sie aber in vollkommenem Tschechisch: und jetzt ist Harry schon mehr als einen Monat nicht aufgetaucht.
Ich strenge mich überhaupt nicht an, aus Giulias Gerede zu entnehmen, wer Harry ist, und stelle ihr keine Fragen. Ich überlege, was für sie jetzt eigentlich Muttersprache sei. Tschechisch, deutsch, amerikanisches Englisch? Sie spricht alle diese Sprachen mit geringfügigen Fehlern, schreibt in allen diesen Sprachen Briefe mit größeren und kleineren Fehlern. Ihr Deutsch klingt ganz korrekt, weil sie damit auf der Bühne auftritt. Ich weiß, sie denkt vielleicht deutsch, weil ich mich gut erinnere, wie sie mich einmal überraschte, als sie unser Schweigen mit dem Satz unterbrach: » Weißt du, diese Ölkur ist einfach wunderbar.
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