Bel Canto (German Edition)
verloren. Gerade jetzt ist die Villa ohne Herr und unbewohnt. Wir gehen an ihrem Park, derzum Seeufer hin abfällt, vorbei, an ihrem kleinen Anlegeplatz.
Unter dem aufgestellten fahrbaren Schutzdach wiegen sich, Wellenringe bildend, die Wasserpflanzen. Wie an einem beliebigen Tag im Leben dieser seltsamen und merkwürdigen Schicksale der Villenbewohner – wenn alles, was man über sie erzählt, wahr ist – schaukeln Wasserpflanzen, spiegeln die kleinen Wellen ein romanhaftes Panorama und klatschen an das sorgfältig hergerichtete Ufer. Im Unterschied zu allen ähnlichen verlassenen und unbewohnten Häusern sind diese Villa und ihr Garten in musterhafter und peinlicher Ordnung.
Ich erinnere mich, mit welch verzweifeltem Gefühl ich meine Eltern auf dem Spaziergang um diese herrliche Villa begleitete, mit welch verzweifelter Langeweile mich die Blicke auf die vergitterten und verschlossenen Eingänge, den leeren Park, erfüllten.
Giulia sagt, der Hof wolle die Villa kaufen. Ich bin erstaunt, woher Giulia diese Nachricht hat! Mir scheint, ich habe, wie gewöhnlich, vieles in ihrer Rede überhört. Ich habe eine wichtige Sache überhört: Giulia hat nämlich am Abend zuvor den »Wachtmeister« kennengelernt! Von ihm hat sie die Neuigkeit, dass die Villa Bella an den königlichen Hof verkauft werden solle. Angeblich werden dort die Hofdamen wohnen.
Giulia hat den »Wachtmeister« kennengelernt?! Erst jetzt wird mir bewusst, wozu die Schilderung des gestrigen Abends, der gestrigen Erfolge Giulias, die Erzählung vom Schal, den Giulia über die Lampe geworfen hat, gehörte – zweifellos zur Schilderung ihrer Bekanntschaft mit dem »Wachtmeister«!
Wir gehen nicht wegen des Sees an der Villa Bella vorbei in Richtung Schloss, nicht um zu unserer Kindheit zurückzukehren, sondern weil Giulia sich denkt oder weiß, dass der »Wachtmeister« heute im Schloss Dienst hat. Wie hat sie das erfahren? Konnte sie das wissen? Wer weiß, was wahr ist? Wer soll sich in ihrem romanhaften Erzählen zurechtfinden!
Ich ahne, dass der Polizeibeamte nicht allzu viel Interesse an ihr hat, Giulia sich freilich seine Zurückhaltung nur wie in einem Roman erklären kann: er würde Giulia als Spionin verdächtigen!! Was wollen Sie, man kann nie vorsichtig genug sein, wenn man ein dem Hof zugeteilter Polizeibeamter ist!
Mir scheint, Giulia hat es diesmal wirklich in jeder Hinsicht zu arg getrieben, und ich schaue sie mit einem Blick an, der sie mahnen soll. Sie ist aber so begeistert – nein, sie lässt von ihrer romanhaften Geschichte nicht ab. »Giulia«, sage ich, »das sind Irrtümer, das hast du dir bloß ausgedacht!«
Giulia ist beleidigt. Ich hätte gestern Abend im Café sein und mich mit eigenen Augen überzeugen sollen. Warum sei ich so ein ungeselliges Geschöpf!
Giulia sieht ihre Dummheit – wenn sie die doch zugeben würde – nicht ein! Sie ist nur bereit zuzugestehen, dass ihr Gefühl (ihre eigenen Worte) nicht mehr als eine »primitive Leidenschaft« sei. Sie wird nicht von ihrem Vorsatz ablassen und mir bleibt nur, ihr bis zum Schluss zuzuhören: Sie habe vom »Wachtmeister« ein Billett erhalten, mit dem er sie heute Nachmittag um drei zu einem Treffen einlade.
Sagt Giulia jetzt nicht die Wahrheit? Sie erzählt, wie schwül es war –
Hatte vielleicht der Polizeibeamte während der Siesta frei, oder hat er den Dienst vernachlässigt? Giulia belehrt mich, sein Dienst sei eigentlich durchgehend. Er sei für die königliche Sicherheit verantwortlich.
Giulia!
Sprach sie tatsächlich mit ihm, oder hat sie sich während der Siesta alles ausgedacht? Haben sie diese Stunde gewählt, wie auch ich als sehr junger Bursche sie oft für ein Rendezvous gewählt habe, weil wir da, ich und auch die Mädchen, unbeaufsichtigt von den Eltern waren, die nach dem Essen ruhten?
Wie könnte ich mich nicht dieser heißen Stunden erinnern, die mir gegen das erschöpfte Verlangen wie eine frische Brise schienen, das sich meiner in der Nähe dieser leicht angezogenen Mädchen bemächtigte, mit denen ich am Abend zuvor »Reunion« * tanzte.
Ich habe gewusst, morgen werde ich sie vielleicht schon nicht mehr sehen (wie Giulia ihren »Wachtmeister«), sie werden mit ihren Eltern in irgendeine europäische Stadt abfahren und schienen mir in den weißen Kleidern so begehrenswert, wie hohe Doldenblüten.
Ich spüre die stechende Sonne der Mittagsstunde –
Giulia spricht die Wahrheit, wenn sie behauptet, auch in dieser Stunde muss der
Weitere Kostenlose Bücher