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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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erzählt habe oder erzählen werde, sei so »interessant«, dass man einmal darüber schreiben sollte oder einmal darüber schreiben würde; manchmal schließt Giulia sogar mit der Erklärung, sie selbst werde darüber schreiben. (Müssen wir ihren Ehrgeiz für übertrieben halten, wenn wir uns in der Gegenwartsliteratur umschauen?)
    Dabei wird sie ihre vor zwanzig Jahren gedruckte Erzählung erwähnen. Giulia scheint, es wäre gestern gewesen, als ihr Bekannter, ein Wiener Redakteur, eine Erzählung von ihr abgedruckt hat, die eine Gefühlserfahrung ihrer Jugend schildert. Noch früher, nicht einmal zwanzigjährig, hat sie eine Erzählung geschrieben, die im »Goldenen Prag« abgedruckt wurde. Alle erkannten augenblicklich ihr schriftstellerisches Talent. Wenn sie ihre »interessanten« Erfahrungen bisher nicht im größeren Maßstab beschrieben hat, ist das verschiedensten Umständen geschuldet. Aber einmal wird es dazu kommen. Und zum Beweisführt Giulia gleich, wenigstens in groben Zügen an, wie sie sich die ganze Sache – ihre Einfälle seien alle »originell« – vorstelle. Sie sagt nämlich: »Ich habe bereits einen originellen Einfall.« Zum Beispiel den Einfall, am Anfang des Romans die Heldin mit ihrem Taufschein einzuführen und am Schluss mit ihrer Todesanzeige zu enden.
    Wenn Giulia das sagt, wartet sie auf die Wirkung ihrer Worte. Vielleicht ist dieser Effekt letztlich ihr Ziel. Ich beobachte ihre Enttäuschung, weil ich von besagter Romanstruktur nicht gebührend begeistert bin. Ein Zeichen meiner Unfähigkeit. Sie gesteht mir zwar Talent zu (sicher, denn ich bin ihr alter Freund), ich bin aber überzeugt, sie stellt es in Frage, wenn sie mit jemandem über mich spricht. Sie wird meine Gleichgültigkeit gegenüber Fragen der Kunst erwähnen. (Wenn Giulia anfängt, darüber zu reden!)
    Manchmal beobachte ich an ihr auch eine gewisse Gereiztheit, die dazu führt, dass sie mir herausfordernd sagte: »Schreib doch selbst!« Das heißt: Wenn ich glaube, Giulia wird nichts aufschreiben, wird nicht imstande sein, etwas »Interessantes« aufzuschreiben, dann also solle ich das zeigen, ich, der geringschätzig auf ihre »Einfälle« schaue.
    Ich habe so viel von diesen Einfällen gehört, dass ich schließlich und endlich den Eindruck hatte, ich müsse einen davon ausarbeiten. Giulia hatte nicht ganz unrecht, als sie mir vorwarf, bestimmte Sujets zu verachten. Ich werde keine dieser von Giulia als »psychologisch« bezeichneten Sentimentalitäten wählen. Ich werde eine wirklich romanhafte Geschichte wählen. Es soll sich lohnen!
    Oft hat sie mir als Schriftsteller Trockenheit, Eintönigkeit vorgeworfen, Unfähigkeit zum Roman. Ich bin mir bewusst, wie alles mit Giulias Vorwürfen erstaunlicherweise übereinstimmt.
    So leicht glaubt sie natürlich nicht meinem guten Willen, sie ist zu sehr daran gewöhnt, dass ich meinen eigenen Kopf habe. Ihr Gesichtsausdruck deutet an, dass ich mir die Folgen davon selbst zuschreiben muss. Hatte sie nicht oft recht, wenn wir uns stritten?! Sie fügt hinzu: Irgendwann wirst du selbst darauf kommen!
    Es fängt immer in der gleichen Weise an. Da sind die mir so gut bekannten Koffer Giulias, ich weiß, darin sind die Toilettengegenstände (mit goldenen oder silbernen Verschlüssen), Renan, Pascal, Geschlecht und Charakter , die bekannten Umhänge, die Giulia immer mitnimmt, wenn sie in die Sommerwohnung fährt.
    Welches Jahr war das? Im Roman genügen doch das Jahrtausend, das Jahrhundert oder zwei Anmerkungssternchen.
    Ich muss gestehen, es war ein Gefühl wie in einem Roman: plötzlich Giulias blonden Kopf zu erblicken und überrascht zur Kenntnis zu nehmen: das ist ja Giulia!
    Zuvor hat mir einer unserer gemeinsamen Bekannten gesagt, dass sie eintreffe und ihn ersuche, ihr ein Zimmer zu bestellen. Aber er sagte (ich sah Giulia fast ein Jahr nicht) etwas von einem Kloster, und Giulia habe vor, nach Amerika zu gehen; sie verkaufe alle ihre teuren Perserteppiche und es gelang ihm mit Mühe, sie vom Kauf eines Nerzmantels abzuhalten.
    Daraus können Sie schließen, dass es Giulia nicht gerade glänzend geht. Daraus können Sie die Möglichkeitzu einem Roman herleiten – wenn Sie wollen –, ihre Situation:
    Giulia hat wahrscheinlich kein Geld, wenn sie die Teppiche verkaufen will. Und doch verbringt sie den Sommer in einem verhältnismäßig teuren Badeort. Aber das sind für sie Selbstverständlichkeiten, keinen, der sie kennt, überrascht das: Giulia mit dem Gedanken an ein

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