Bélas Sünden
nehmen muss, wenn man sich verbessern will? Ich hatte in all den Jahren nie ernsthafte Probleme mit ihr gehabt, nicht einmal, als Béla auftauchte, kein Anflug von Eifersucht, niemals ein »Mutti gehört mir«. Als wir ihr sagten, dass wir umziehen wollten, hatte sie zum ersten Mal protestiert. Béla hatte ihr in schillernden Farben beschrieben, wie schön und bequem es war, nachts nur die Tür hinter sich zu schließen und eine Treppe hinaufzusteigen. Tagsüber alles dicht beieinander, ein richtiges Familienleben. Das hatte sie eingesehen, außerdem, sieben Zimmer, das klang nach viel und groß. Das klang nach dem späten Film am Samstagabend, obwohl Mutti noch ein paar Seiten schreiben wollte und dafür Ruhe brauchte.
»Stell es dir lieber nicht zu toll vor«, sagte ich. »Es ist ein altes Haus. Die Zimmer sind klein.«
Es waren nicht nur kleine Zimmer und ein altes Haus. Es war ein Drama in drei Akten. Der erste Akt wurde vierzehn Tage nach Unterzeichnung des Pachtvertrages aufgeführt. In den Hauptrollen Béla Szabo als jugendlicher Held, voller Elan, voller Pläne, Heinz Böhring als väterlicher Freund und Berater in Sachen Renovierung, Lisa Müller und ihre Tochter als Statisten. Ich konnte nichts mehr sagen, als ich durch die ausgeräumte Wohnung ging. Aber das Haus sprach für sich. Die Zwischendecke musste zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts eingezogen worden sein. Da hatte man noch nicht mit Beton gebaut. Und aus massiver Eiche waren die Balken auch nicht, sonst hätten sie nicht derart gefedert. Dazu orgelten die Dielenbretter bei der kleinsten Bewegung. Es klang wie die Titelmusik zu einem Gruselfilm.
Heinz sagte tonlos: »Ach, du Schande!« Sonja hatte es die Sprache verschlagen. Sie tat so, als wolle sie von einem Fenster auf die Straße schauen, tatsächlich aber stand sie da und weinte still vor sich hin. Heinz schaute mich an, als wolle er fragen: »Worauf hast du dich eingelassen, Lisa?« Er sprach es nicht aus, stellte stattdessen eine Mängelliste zusammen. Vier von den sieben Zimmertüren ließen sich gar nicht schließen, weil die Rahmen völlig verzogen waren. Zwei der übrigen Türen ließen sich zwar schließen, danach aber nur noch mit Gewalt öffnen. Dabei knirschte es in der Mauer verdächtig. Die sollten wir also besser auch offen lassen. Bei der letzten Tür war fast alles in Ordnung, da war lediglich auch das Schloss derart mit gelbweißer Farbe beschmiert, dass sich nichts mehr rührte, wenn man die Klinke drückte.
»Das kann man abkratzen«, sagte Heinz.
Von insgesamt zehn Fenstern war keins dicht. An dreien war das Glas zerkratzt, bei einem die Scheibe gesprungen.
Die Rahmen brauchten dringend einen neuen Anstrich, vier von ihnen brauchten eigentlich neues Holz. Die Fußböden – »Müsste man rausreißen«, sagte Heinz. »Da müssen neue Balken rein, sonst sitzt ihr eines Tages im Erdgeschoss. Ein Bad kannst du hier jedenfalls nicht einbauen.« Wände einreißen konnten wir auch nicht. Die Wände, die es uns ermöglicht hätten, aus sechs kleinen Kämmerchen drei mittelgroße Räume zu machen, trugen die Dachkonstruktion. Es war halt alles ein bisschen verwinkelt, und der Hausbesitzer nicht einverstanden mit größeren Umbauten. Ach, bevor ich es vergesse, es gab eine Ölheizung, allerdings nur für den Schankraum und den kleinen Saal. In den oberen Zimmern gab es nicht mal die Möglichkeit, einen Ofen aufzustellen. Ein Kamin war zwar da, er war nur total verrottet. Küche und Bad waren auch nicht beheizbar.
Aber vor Schimmelbildung in der prächtigen Dusche im Anbau mussten wir uns nicht fürchten; die Ecke war ausreichend belüftet. Das Rolltor zum Hof ließ sich zwar schließen, obwohl ich damit kaum noch gerechnet hatte. Doch auch im geschlossenen Zustand waren auf jeder Seite gute zehn Zentimeter Freiraum zwischen Tor und Mauer. Die Ecke zu heizen wäre pure Verschwendung gewesen. Der zweite Akt begann auf der Heimfahrt. Während Heinz und Béla vorne im Wagen feststellten, dass meine Schrankwand wahrscheinlich auch in völlig auseinander genommenem Zustand nicht über die Treppe hinauf zu transportieren war, dass man die Einzelteile aber vermutlich durch eines der Fenster ins Haus schaffen konnte. Wobei sich dann nur noch die Frage stellte, ob das überhaupt zweckmäßig war, weil wir sie in keinem Zimmer unterbringen konnten, erklärte Sonja neben mir mit versteinerter Miene: »Ich ziehe da nicht ein. Glaub nur nicht, dass du mich in diese Bruchbude
Weitere Kostenlose Bücher